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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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sollte!
    »Dieses verdammte Biest!« murmelte er leise.
    Er ging durch die innere Zentrale und suchte nach neuen Kleidungsstücken. In einem Wandschrank fand er eingeschweißte Unterwäsche neben Brandbinden, Medikamenten und metallbeschichteten Planen, die gegen viele Arten von radioaktivem Niederschlag schützen sollten.
    ERSTE REGEL: SENKT DEN PEGEL! JOD - JOD - JOD!
    Der Merkspruch an der Innenwand des Schrankes kam ihm ziemlich albern vor. Trotzdem riß er die Aluminiumfolie eines Pillendepots auf. Er schluckte die kleinen, braunen Tabletten und spülte mit zwei Ampullen Mineralwasser nach.
    Das T-Shirt und die Unterhose aus der zweiten Rezyk -Schatulle paßten ihm. Er zog sich Baumwollsocken an, schnitt mit einem an der Wand hängenden Cutter ein Paar Kunstlederstiefel aus dem mit dünnen Stegen verbundenen Angebot und tippte dann seine Körpermaße in den Chemo-Tailor.
    Er bekam rutschfeste Strapazier-Jeans, ein langes Metallic-Oberhemd und eine wasserabweisende Windjacke mit angestrippten Arbeitshandschuhen.
    Er zog sich an und knallte das Wandschott zu. Es war kurz nach zwei Uhr morgens. Ein paar Minuten lang ging er ziellos durch die innere Zentrale. Er berührte einige Sensoren, veränderte die Temperatur der Klimaanlage und versuchte, irgend etwas aus dem Unterhaltungsangebot des Archivs herauszuholen.
    Obwohl die Bedienung der üblichen Kontrollen nicht schwierig war, gelang es ihm nicht, die speziellen Sperren zu überwinden. Er wußte zu wenig von den Funktionskreisen der Regiepulte. Eher zufällig holte er eine Aufzeichnung aus dem Archiv, die kurz vor der Katastrophe entstanden sein mußte.
    Plastische, dreidimensional wirkende Bilder zogen über die Bildschirme der Monitoren. Sie zeigten ähnliche Szenen in unterschiedlichen Vergrößerungsstufen.
    Das Licht war nicht besonders gut. Goetz versuchte, die Aufnahmen heller zu machen, aber dadurch verschwammen die Konturen. Plötzlich blendete eine Datumsanzeige an den linken, oberen Bildecken ein:
    03.03.2018, 13.30 GMT
    Fünf Tage vor der furchtbaren Nacht!
    Die Kameras erfaßten eine eigentümlich wirkende Landschaft. Sie lösten sich von ihren Beobachtungsplätzen, fielen wie Turmfalken steil nach unten, fingen sich ab und segelten beobachtend über eine schräge Hügellandschaft, deren gleichmäßig angeordnete Kuppen ihn unwillkürlich an eine Tafel Schokolade erinnerten.
    Goetz entdeckte frischgepflügte Felder, gepflegte Buschgruppen in den Tälern, kleine Waldstücke und Parzellen mit sprießender Saat. Irgendwie kam die fremdartige Gegend wie eine bis ins letzte Detail geplante Puppenstuben-Landschaft vor. Ein Diorama, in das wie bei einem Sandkastenspiel nur noch Figuren eingesetzt werden mußten ...
    Goetz ließ sich in den grauen Sessel sinken, lehnte sich aber nicht an. Steif und gleichzeitig fasziniert beobachtete er den Weg der fliegenden Kameras. Er wurde das Gefühl nicht los, daß verschiedene Eindrücke einfach nicht zusammenpaßten. Es war, als würden die Bildaufzeichnungen mit einer falschen Geschwindigkeit gleichzeitig zeitlupenhaft und im Zeitraffer ablaufen. Durch Licht und Schattenfall hätte er rein gefühlsmäßig auf einen sehr, sehr langsamen Vorwärtsflug der Kameras getippt. Andererseits lösten sich die Hügel und Täler, Felder, Baumgruppen und Büsche viel zu schnell ab.
    Als Redakteur im Verlag von J. Samuel Bruhns hatte er sich hin und wieder alte Schwarz-Weiß-Filme an den Schneidetischen des Archivs angesehen. Was er jetzt beobachtete, erinnerte ihn irgendwie an jene Slapsticks aus der Zeit, in der die Bilder laufen lernten , und an Trickszenen aus Filmen wie King Kong und Metropolis.
    Verwirrt schüttelte er den Kopf.
    Warum hatten die Priester in ihrem sonst so perfekten Kommunikationszentrum noch immer mit den ersten filmischen Täuschungsmethoden gearbeitet?
    Warum hatten sie knapp fünf Tage vor der Katastrophe noch versucht, läppische Heimatfilme und Singspiele in mittelalterlichen Kulissen zu produzieren?
    Sie mußten doch geahnt haben, was auf sie zukam!
    Warum dann diese schlecht gemachten Versuche der Verdrängung?
    Goetz verstand es nicht. Die Bilder auf den Monitoren zeigten den letzten Hügel in der Reihe. Die Kameras konnten bestenfalls zwei, drei Meter über der Straße schweben, die sich wie ein hellgraues Band über alle Hügel und durch die Senken zwischen ihnen zog. Im Gras am Hang flatterten bunte Schmetterlinge. Die Kameras stiegen dicht über ihnen höher. Sie erreichten die letzte Kuppe und

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