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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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Steinplatten.
    Goetz sprang vom Gabelstapler. Er ging einmal um den gewaltsam von der Kirchenwand gerissenen Holzverschlag herum. Im Licht der Sonne wirkte er nicht mehr besonders ehrwürdig. Er sah eher wie ein angejahrter Wandschrank aus einem Trödelladen aus ...
    Aber das Holz war immer noch massiv und trocken!
    Goetz hatte Mühe, das schwere Möbel zu bewegen. Mit eigener Kraft schaffte er es nicht. Er stieg wieder auf den Gabelstapler und setzte einen halben Meter zurück. Er ließ die Greifer bis zum Anschlag nach oben summen. Mit einer beinahe spielerischen Bewegung stieß er den linken Dorn gegen das Spitzdach des Beichtstuhls.
    Die schwere Holzkonstruktion stürzte in das hoch aufspritzende Wasser vor den Stufen. Sie sank ein, kam wieder hoch und schwamm wie ein Boot in den Wellen.
    Goetz lachte. Die Idee war verrückt aber gut gewesen!
    Jetzt brauchte er nur noch ein Ruder. Kurz entschlossen montierte er eine Abdeckplatte von der Seite des Gabelstaplers ab. Er kletterte in den schwimmenden Kasten und setzte sich auf die Kante der Sitzbank, auf der jahrhundertelang die Kissen für die Beichtväter gelegen hatten. Vorsichtig tauchte er die gewölbte Abdeckplatte ins Wasser.
    Es funktionierte!
    Mit einem triumphierenden Gefühl paddelte er über den See vor der Kathedrale. Während er in der Beherrschung seines ungewöhnlichen Bootes immer sicherer wurde, begann er zu pfeifen. Eigentlich hatte er nur nach einer Möglichkeit gesucht, zum Verlagshaus hinüber zu kommen. Jetzt machte ihm das Paddeln soviel Spaß, daß er beschloß, eine Erkundungsfahrt durch die Altstadt zu unternehmen. Er nahm die Straße, die zum alten Rathaus führte.
    Zum erstenmal sah er bewußt und aus unmittelbarer Nähe, was die Neutronenbombe wirklich angerichtet hatte. Es war durchaus nicht so, wie er die ganze Zeit gedacht hatte ...
    Vom Turm der Kathedrale aus hatte alles relativ unzerstört ausgesehen. Erst jetzt entdeckte er, wie schwer die Schäden an den Häusern waren. Er sah Fassaden, die nur noch von skelettartigen Armiereisen gehalten wurden. Zwischen immer wieder restaurierten historischen Häusern klafften breite Lücken, in denen hohe Trümmerhaufen lagen.
    Das Wasser lief gurgelnd in irgendwelche Keller. Goetz mußte höllisch aufpassen. An einer Kreuzung geriet er in einen Gegenstrom. Unvermutet verwandelte sich das Wasser in den Straßen in einen reißenden Strom. Goetz paddelte wie verrückt. Der Beichtstuhl schoß in einen Strudel, drehte sich zweimal im Kreis, wurde herumgerissen und in eine enge Querstraße abgetrieben.
    Hier kannte Goetz jedes Fenster, aber er hatte keine Zeit für irgendwelche Beobachtungen. Verbissen kämpfte er gegen den immer schneller fließenden Wasserstrom an. Jetzt hätte er Stangen oder ein richtiges Ruder haben müssen!
    Goetz paddelte und paddelte, aber er hatte keine Chance gegen den reißenden Wasserstrom. Sein Boot rammte hart gegen eine Hausmauer. Sie war so brüchig, daß er auf einem Wasserschwall direkt hindurchbrach. Er konnte sich gerade noch ducken. Hinter ihm stürzten Mauerstücke in die schäumende Flut.
    Goetz klammerte sich an den Verzierungen des Beichtstuhls fest. Die Abdeckplatte von der Seite des Gabelstaplers versank im Wasser. Der Beichtstuhl taumelte über schwappende Wellen auf eine Fensterfront an der gegenüberliegenden Seite eines Wohnzimmers zu. Wie gläserne Zähne ragten ihm die zerbrochenen Scheiben entgegen.
    Er hatte nur noch eine Möglichkeit. Instinktiv warf er sich zur Seite. Der gläserne Hagel prasselte ins Holz des Beichtstuhls. Goetz tauchte in die stinkende, undurchsichtige Brühe. Er ruderte mit Armen und Beinen, versuchte zu schwimmen, aber kam einfach nicht mehr hoch.
    Der Sog riß ihn immer tiefer.

13. KAPITEL
    Der 45. Tag nach der Katastrophe brachte eine Reihe weiterer Entscheidungen. Während Goetz von Coburg in den Sielen der toten Stadt die Strafe für sein frevelhaftes Verhalten erlitt, wachten im Sakriversum Agnes und Guntram auf.
    Sie hatten die Nacht nackt am Ufer des Sees verbracht. Obwohl der Morgen kühl war, froren sie nicht.
    »Wir sind Mann und Frau!« sagte Guntram.
    »So ganz ohne Feier, ohne die alten Tänze ...«
    »Ist das so wichtig?« fragte er.
    Sie sah ihn an, lächelte und schüttelte den Kopf.
    »Nein, mein Gebieter!«
    »Sag das nicht noch mal!« protestierte er. Sie mußten beide lachen. Agnes stand auf und lehnte sich gegen ihn. Er legte seinen Arm um ihre Hüfte.
    »Ich bin froh, daß wir wieder hier sind«, sagte

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