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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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hatten die Betroffenen kaum mit Nachteilen zu rechnen. Schlimmstenfalls blieben ihnen einige höhere Management-Ebenen versperrt.
    Ab B-STU 4 begannen die Erziehungsmaßnahmen. Es fing ohne öffentliches Aufsehen mit reduzierten Menü-Plänen in der Sozialversorgung an und steigerte sich über die Streichung von persönlichen Qualifikationspunkten bis zum System-Ausschluß. Was das bedeutete, hatte Goetz vor Jahren durch seinen Vater erfahren. Als er bei B-STU 9 angekommen war, weil er sich geweigert hatte, das Rauchen seiner Abendpfeife aufzugeben, war ihm sein Personen-Kode entzogen worden.
    Die Vorsorgliche Behütung hatte ihn endgültig vor seinen Schwächen geschützt und außerdem verhindert, daß er durch sein eigenbrötlerisches Verhalten anderen Schaden zufügen konnte.
    Zwei Wochen nach dem Entzug des Personen-Kodes hatte sich sein Vater freiwillig und völlig verwahrlost in eine Behütungs-Anstalt begeben. Dort hatten sie ihn noch einen Monat ohne Kontakt zu anderen Menschen ernährt. Eines Abends war er eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht. Drei Tage nach seinem Tod war ihm die B-STU 10 zuerkannt worden: Widerstand gegen das Leben!
    Er hatte ein Märtyrer-Begräbnis bekommen, mit allem, was dazu gehörte ...
    Goetz wollte nicht den gleichen, starrsinnigen Weg gehen! Lebensgemeinschaften konnten immer nur dann funktionieren, wenn Freiheit und Verantwortung für andere einen Mittelweg fanden, so unvollkommen das demokratische Prinzip nach absoluten Maßstäben auch sein mochte!
    Er ahnte jetzt, warum sein Kontostand sich ruckartig erhöht hatte. Er wußte, wie die Sperren an der Turmtür dazu gekommen waren, ihm Wege freizugeben. Er war tatsächlich Oberbürgermeister, Aufsichtsrat und Bischof zugleich! Aber nicht in der Ausübung der Funktionen, sondern in ihrem Stellenwert.
    Er war alles, weil niemand außer ihm mehr da war ...
    Doch vollkommen systemgerecht blieben die Bedenken gegen ihn als Individuum bestehen. Hierarchische Vollmachten hatten ihm die Türen zu den Kellern in der Kathedrale geöffnet. Er hatte Dinge gesehen, von denen sonst nur Eingeweihte erfuhren. Perfekt programmierte Computer, die in einer einzigen Sekunde Millionen Entscheidungen treffen konnten, hatten ihn zunächst eingelassen.
    Zunächst, denn nach vier Tagen weigerte sich die primitive Elektronik eines Gabelstaplers, seinen Steuerbefehlen zu gehorchen!
    Goetz mußte plötzlich lachen. Er dachte an die stets dienstbereite MUSE im Kommunikationszentrum der Priester in der Krypta. Die gutgedrillten Elektronik-Sklaven hatten ihn bedient und verwöhnt, ehe sie auf den Gedanken kamen, daß er doch nur ein Eindringling ohne Rechte war. Milliarden Schaltbefehle waren für diese einfache Erkenntnis erforderlich gewesen.
    Der Gabelstapler reagierte viel direkter ...
    »Na schön, du Miststück!« knurrte Goetz. »Dann nehme ich eben einen Hammer aus deinem Werkzeugfach und schlage dir die Elektronik ein!«
    Schon die Ankündigung genügte. Der Gabelstapler ließ alle Funktions-Lämpchen auf der Steuersäule freundlich glühen. Mit einem harten Ruck rutschten die beiden Greifer höher. Der Gabelstapler schwankte und krachte auf die Steinplatten vor dem Eingangsportal der Kathedrale zurück.
    Goetz ließ den Batterieantrieb aufjaulen. Er setzte ein Stück zurück. Mit voller Beschleunigung steuerte er die gelbe Maschine zum zweitenmal innerhalb weniger Tage in die Kathedrale.
    Goetz hielt sich nicht lange auf. Draußen war ihm die Idee gekommen, wofür er die Greifer des Gabelstaplers einsetzen konnte. Vorsichtig manövrierte er die blanken Eisendorne so nach vorn, daß sie rechts und links von einem Beichtstuhl gegen die Mauer stießen. Es klappte nicht ganz. Die Dorne fuhren krachend in das splitternde Holz der geschnitzten Seitenverzierungen.
    Goetz biß die Zähne zusammen. Er betätigte die Hubtaste. Was seit Jahrhunderten eine simple, aber geniale Informationsquelle für die Priester gewesen war, hob sich mit einem knirschenden Geräusch vom Boden. Ein trichterförmiges Bleirohr ragte in halber Höhe des Beichtstuhls aus der Mauer der Kathedrale.
    Goetz setzte zurück. Der drei Meter hohe und fast anderthalb Meter breite Beichtstuhl versperrte ihm die Sicht nach vorn. Trotzdem gelang es ihm, die seltsame Fracht bis zum Portal zu fahren.
    Am Rand der Stufen vor der Wasserfläche ließ er den Beichtstuhl nach unten sinken. Ein paar Verzierungen brachen ab. Staub, Spinnweben und schwarze Holzsplitter fielen auf die

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