Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.
vorbei. Es war nicht nötig, einen weiteren Versuch zu unternehmen. Er wußte, daß ihm selbst der kleine Magnetschlüssel die Türen nicht mehr öffnen konnte.
Aus ... vorbei ... Chance vertan!
Irgendwann mußte er einen Fehler gemacht haben! Er dachte an das Vorratslager, die Leichen der Priester am Abendmahlstisch, die MUSE und die Aufzeichnungsgeräte. Wann hatte er auf einen falschen Knopf gedrückt, zuviel erfahren oder Fehler im System verursacht?
Er stand fröstelnd in der Morgensonne, die langsam über die Dächer stieg. Im Nachhinein kamen ihm die Tage und Nächte in den Kryptaräumen der Kathedrale noch alptraumartiger vor als die Zeit im Verlagskeller. Er war in Geheimnisse eingedrungen, die ihn nichts angingen. Die Erinnerung an das, was er gesehen und erlebt hatte, verblaßte langsam mit dem Höhersteigen der Sonne. Zum erstenmal seit vielen Tagen fühlte er sich wieder gesund.
Er hatte keine Schmerzen mehr. Wahrscheinlich würde sein Körper irgendwann unter Spätfolgen des Neutronenblitzes zu leiden haben, doch darüber konnte er sich jetzt keine Gedanken machen. Er mußte Zusehen, daß er in den nächsten Wochen und Monaten auch ohne die Reserven in der Kathedrale überlebte. Aber wo?
Er blickte über den leeren Platz hinweg. Außer den gurgelnden, in die Altstadt abfließenden Wassermassen bewegte sich nichts. Plötzlich fiel ihm auf, daß die Häuser nicht mehr mit rötlichem Staub bedeckt waren. Es mußte stark geregnet haben, während er in der Kathedrale gewesen war.
Das Gebäude, das er am besten kannte, war der Verlag. Bis auf Lebensmittel gab es dort alles, was er zur Weiterführung seiner Existenz benötigte. Wenn er die Toten fortschaffte und wieder einigermaßen Ordnung herstellte, konnte er dort in der nächsten Zeit leben. Zu den wichtigsten Vorteilen gehörte die Tatsache, daß er die Geräte, Nachrichtenspeicher und die anderen technischen Apparaturen einigermaßen kannte. Mit etwas Übung mußte es ihm gelingen, die Bedienungsanleitungen für die verschiedenen elektronischen Informationssysteme der Redaktion sinnvoll einzusetzen.
Bisher hatte er das nicht nötig gehabt. Was auf seinen Schreibtisch gekommen war, hatten Spezialisten über Bildschirme von Satelliten und aus dem Lichtleiterverband der Nachrichtenkonzerne abgerufen.
Nun gut! Dann mußte er sich jetzt eben selbst an die Keyboards und Tastaturen setzen, um herauszufinden, wie es weitergehen sollte!
Ein Problem war, daß er nicht schwimmen konnte ...
Er blickte auf das gurgelnde, schäumende Wasser. Es war so klar, daß es nur aus den unterirdischen Leitungen der Wasserwerke stammen konnte. Aber drei Meter hoch vor der Kathedrale stehendes gutes Trinkwasser war eben auch eine Art See!
Er ging bis zur ersten Stufe, bückte sich und schöpfte mit beiden Händen. Das Wasser rann zwischen seinen Fingern hindurch. Er zögerte, ehe er kostete. Es schmeckte widerlich nach Chemikalien.
Er schüttelte die Tropfen von den Händen, drehte sich um und ging zum Gabelstapler. Die gelbe Maschine hing noch immer schräg an einem Portalpfeiler. Das brachte Goetz auf eine Idee.
Er kletterte auf den Sitz und schaltete die Steuersäule ein. Als er seinen Personen-Kode eintippte, hatte er plötzlich das komische Gefühl, als würde sich die Maschine darüber wundern. Sie reagierte nicht. Statt dessen blinkte ein Leuchtfeld auf, mit dem er aufgefordert wurde, seine Angaben zu wiederholen.
Erst jetzt sah er das kleine Symbol über den Sensortasten. Es bedeutete, daß der Gabelstapler entstört, technisch überprüft, vorschriftsmäßig geräuschgedämpft und über einen Registriersender an den KVE Kontrollverbund Energie angeschlossen war ...
Jetzt wurden ihm plötzlich mehrere Ungereimtheiten verständlich. Er begann zu verstehen, was er mit der ersten Benutzung des Gabelstaplers ausgelöst hatte. Gleichzeitig lief es ihm kalt den Rücken hinunter. Sein Personen-Kode war bei der Vorsorglichen Behütung gespeichert, nachdem er mit verbotenen Lebensmitteln aufgefallen war. Er schüttelte sich unwillkürlich, als er an das Verhör durch die VOBs unmittelbar vor der Katastrophe zurückdachte.
Fünfundzwanzig Jahre lang war er nicht aufgefallen. Ein paar Eier und etwas Schinken hatten ihn schließlich doch noch zum VOBSTER B-STU 1 gemacht: in die erste Behütungsstufe fielen alle, die irgendwann einmal durch Zufall, Unkenntnis der Vorschriften oder zeitlich begrenzte Auflehnung gegen die Energiegesetze verstoßen hatten. Bis zur B-STU 3
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