Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Verantwortung.«
Gaspard stand auf, griff nach dem Weinkrug und ging zu seiner Schreibstube, wo er bis in die frühen Morgenstunden blieb.
Isabelle kauerte auf der Bettkante, in der Hand das kleine Silberkreuz, und betrachtete die Kerze auf ihrem Tischchen. Stück für Stück zehrte die Flamme das Bienenwachs auf, flackerte dann und wann und wurde zusehends schwächer, als nur noch ein Stummel übrig war. Nebenan in der Schreibstube saß ihr Bruder; gelegentlich hörte sie, wie er seinen Weinkrug abstellte und in der Kammer umherging. Sein Stuhl knarrte, als er sich wieder setzte.
Sie dachte an ihre gemeinsamen Stunden mit Michel, an den Abend auf der Waldlichtung, an ihren verstohlenen Kuss am Brunnen.
Du wirst dich von nun an von ihm fernhalten. Ich will dich nicht noch einmal mit ihm zusammen sehen, hast du verstanden?
Ihre Finger schlossen sich um das Kruzifix.
Ein Luftzug löschte das ersterbende Licht. Isabelle lauschte. Nebenan war es still. Leise verließ sie ihre Kammer, huschte auf den Gang und öffnete die Tür der Schreibstube einen Spalt. Gaspard hockte auf seinem Stuhl, sein Kinn war auf die Brust gesunken, er atmete gleichmäßig. Ein Arm lag auf seinem Schoß, der andere hing herunter. Der Kienspan in der Schale glomm nur noch.
Sie schloss die Tür, kehrte in ihre Kammer zurück und nahm den Umhang vom Haken. Bevor sie die Treppe hinabstieg, blieb sie einen Augenblick stehen. Dann küsste sie das Kruzifix und schlich die Stufen hinunter.
Obwohl die Matutin lange vorüber war, fand Michel keinen Schlaf. Seit Stunden schon lag er da und grübelte, bis er irgendwann in einen dumpfen Dämmerzustand sank, heimgesucht von wirren Traumbildern.
Irgendwann schreckte er auf, weil er glaubte, er hätte ein Geräusch gehört. Es war tiefste Nacht und die Finsternis beinahe vollkommen.
Da war es wieder: ein leises Klappern. Ein Steinchen war gegen den Fensterrahmen geprallt und kullerte über den Fußboden. Michel glitt aus dem Bett und spähte nach draußen.
Vor seinem Haus stand eine Gestalt und bückte sich nach einem weiteren Stein. Als sie sich aufrichtete, bemerkte sie ihn.
»Lass mich rein«, rief Isabelle leise.
Mit einem Fluch auf den Lippen schlüpfte er in ein dünnes Gewand und huschte nach unten, darauf bedacht, Jean und die Bediensteten nicht zu wecken. Leise öffnete er die Tür, Isabelle schlüpfte herein und schlug die Kapuze ihres Umhangs zurück.
»Bist du von Sinnen? Wenn Gaspard erfährt, dass du hier bist!«
»Keine Sorge. Er saß den ganzen Abend schwermütig in seiner Schreibstube und hat Unmengen Wein getrunken. Er schläft tief und fest.«
»Und was ist mit Lutisse? Marie? Euren Bediensteten?«
»Niemand hat mich gehört oder gesehen. Vertrau mir.«
Schweigend blickte er sie an, erfüllt von widerstreitenden Gefühlen. »Gehen wir nach oben«, sagte er schließlich, ergriff ihre Hand und führte sie hinauf in den zweiten Stock. In die Stube konnten sie nicht gehen – Jean schlief nebenan und würde sie hören. Er schob sie in sein Schlafgemach und schloss die Tür.
»Wieso bist du hier?«
»Gaspard will, dass ich dich nicht mehr sehe. Aber das kann er mir nicht verbieten. Niemand kann das.«
Genau wie damals am Brunnen legte sie die Hände auf seine Wangen, führte ihre Lippen zu seinem Mund. Michel zog sie an sich und spürte, dass sie unter dem Mantel nur ein dünnes Nachtgewand trug, das ihren Körper kaum verhüllte.
Sie löste die Brosche, und der Mantel sank zu Boden.
»Willst du das wirklich?«
»Ja«, wisperte sie.
Sie küssten einander, während er seinen Rock abstreifte. Schwer atmend zog Isabelle ihr Gewand aus und legte sich aufs Bett, und dann spürte sie ihn auf sich, spürte ihn in sich. Nein, es ist nicht wie mit Aleaume. Ganz und gar nicht wie mit Aleaume, dachte sie, ehe sie die Welt um sich herum vergaß.
Später schmiegte sie sich an ihn, und er spielte gedankenverloren mit einer Strähne ihres Haars. Laue Nachtluft drang durch das offene Fenster, während der Wind um die Giebel strich.
»Du bist ein böses Mädchen«, murmelte er.
»Überrascht?«
»Nein. Ich weiß es. Seit unserem Kuss am Brunnen.«
»Ach ja?«
»So küsst keine Jungfrau.« Michel lächelte schläfrig.
»Besonders enttäuscht wirkst du nicht.«
»Jungfrauen werden überschätzt.«
»Das sagt Lutisse auch.«
»Lutisse? Hast du ihr …… «
»Nein.« Sie streichelte seine Brust. »Keine Sorge. Sie weiß nichts.«
»Wer war der Schuft?«, fragte er.
»Wieso denkst
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