Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Dutzend. Michel lehnte sich aus dem Fenster und spähte zur Gildehalle. Tancrède Martel schnarrte Befehle und ließ die Männer vor dem Gebäude Aufstellung beziehen. »Was zum Teufel …«
»Das ist Géroux’ Werk«, sagte Travère. »Seine Rache für die Niederlage.«
»Das lassen wir uns nicht bieten. Was erlaubt Martel sich?« Mit zusammengebissenen Zähnen setzte Michel seinen Hut auf, und sie eilten nach draußen. Martels Büttel hatten inzwischen sämtliche Zugänge zur Gildehalle abgeriegelt. Bürger strömten auf dem Platz zusammen und beobachteten das Spektakel. Vor Pierre Melvilles Haus standen die Schwurbrüder mit Ratlosigkeit in den Gesichtern.
»Was geht hier vor?«, erkundigte sich Michel.
»Martel verwehrt uns den Zutritt zur Gildehalle«, erklärte Catherine Partenay. »Er sagt, jeder, der hineinwill, werde verhaftet.«
»Befehl des Bischofs«, fügte Raymond Fabre hinzu und fuhr sich angespannt durch den Vollbart.
Abaëlard Carbonel stampfte mit seinem Stock auf. »Das ist schändlich!«, krächzte der Alte. »Ein unerhörter Verstoß gegen unsere Rechte. So etwas hat es in zweihundert Jahren Gildengeschichte nicht gegeben!«
In diesem Moment erblickte Michel Bischof Ulman. Begleitet von seinem Diener Namus schritt der Kirchenmann über den Domplatz. Offenbar wollte er zu Martel.
»Das haben wir gleich«, knurrte Michel und ging Ulman entgegen. »Wieso lasst Ihr die Gildehalle absperren? Ich verlange eine Erklärung!«
Der Bischof bedachte ihn mit einem angewiderten Blick, als wäre er ein lästiges Insekt. »Ich denke, das wisst Ihr genau, Herr Gildemeister. «
»Es ist unser verbrieftes Recht, uns zu versammeln. Das dürft Ihr uns nicht verwehren!«
»Dann wird Euch folgende Neuigkeit interessieren: Ich betrachte die Gilde von nun an als Verschwörung gegen das Bistum und den Frieden der Stadt und löse sie hiermit auf.«
»Das könnt Ihr nicht tun«, sagte Michel.
»Weiterhin lasse ich jeden, der aufrührerische Reden schwingt, vor Gericht stellen, mit der Acht belegen und aus der Stadt verbannen«, fuhr Ulman fort. »Jetzt geht mir aus dem Weg, oder ich lasse Euch festnehmen.«
Der Bischof rauschte an ihm vorbei, und Michel konnte nichts tun, als sich um Haltung zu bemühen und zu seinen Freunden zurückzugehen.
»Hier können wir vorerst nichts ausrichten«, sagte er. »Wir müssen uns neu formieren. Geht nach Hause. Zur None treffen wir uns im Les Trois Frères in der Rue des Tanneurs. Kommt alle. Aber lasst euch nicht zusammen sehen.«
Zur verabredeten Zeit fanden sich die Schwurbrüder nach und nach in dem Wirtshaus in der Unterstadt ein. Der Schankraum war schäbig, dunkel und rauchverhangen, aber genau deswegen hatte Michel diesen Ort ausgewählt, denn hierher kamen keine höhergestellten Bürger und schon gar keine Anhänger des Bischofs. Die Kaufleute saßen unter der niedrigen Balkendecke an einem klobigen Tisch. Es roch nach schalem Bier und fauligem Bohnenstroh.
»Nie hätte ich für möglich gehalten, dass der Bischof so weit gehen würde«, murmelte Marc Travère. »Nie.« Der breitschultrige Kaufmann schüttelte den Kopf, griff nach seinem Bierhumpen und trank.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Raymond Fabre in die Runde, legte seine von den Funken der Esse verbrannten Arme auf den Tisch und verschränkte die prankenhaften Hände. Er war ein bulliger Mann mit einem Brustkasten wie ein Fass. »Uns wehren? Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe keine Lust, mich verhaften und ächten zu lassen.«
Einige Schwurbrüder nickten bedrückt. Die Angst vor den rechtlichen Folgen eines wie auch immer gearteten Widerstands gegen die Entscheidung des Bischofs war groß, wenngleich Michel Ulmans Worte für eine leere Drohung hielt. Niemand wurde geächtet, nur weil er an einer Gildeversammlung teilnahm. Derart harte Strafen konnte nur das Hochgericht verhängen, dem im Gegensatz zum städtischen Niedergericht nicht Tancrède Martel vorsaß, sondern der Vogt Varennes’: Herzog Simon Châtenois. Und der Herzog würde keinen Schwurbruder bestrafen, weil er sein Recht wahrnahm, selbst wenn Bischof Ulman dies vehement von ihm verlangte.
»Wir hätten es nie so weit kommen lassen dürfen«, sagte Fromony Baffour, seines Zeichens der größte Schwarzseher der Gilde, mit klagender, geradezu weinerlicher Stimme. »Vielleicht sollten wir die Wahl rückgängig machen und Bischof Ulman um Verzeihung bitten.«
»Auf keinen Fall«, widersprach Michel entschieden. »Wir
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