Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Gildehalle gebracht, wo sie vermutlich bis zum Ende der Fehde in einem leeren Lagerraum schmoren würden – Michel bezweifelte, dass der Ritter für zwei einfache Soldaten Lösegeld zahlen würde.
Er schluckte trocken. Er fühlte weder Furcht noch Müdigkeit, nur eine seltsame Taubheit. Das Grauen der Schlacht und die Trauer um Marc Travère hatten sich wie ein Leichentuch über seine Empfindungen gelegt. »Wann wird de Guillory wiederkommen?«
»Wer weiß – vielleicht schon morgen«, antwortete Melville. »Ihr habt ihn ja gehört. Er wird erst aufhören, wenn wir den Bau der Brücke aufgegeben haben.«
»Oder wenn wir ihn besiegt haben«, sagte Jean, der zu ihnen gestapft kam.
»Du glaubst wirklich, wir können ihn schlagen?«, fragte Michel. »Nach allem, was heute geschehen ist?«
Sein Bruder zuckte mit den Achseln. Er teilte die allgemeine Hoffnungslosigkeit nicht. »Für die meisten von uns war es die erste Schlacht. Deshalb hatte er leichtes Spiel mit uns. Wir können besser werden, und beim nächsten Mal wissen wir, was uns erwartet.«
»Gebe Gott, dass du recht hast«, murmelte Michel müde und stapfte zu Charles Duval, um dem Kaufmann und seinen Knechten zu helfen, den umgestürzten Hebekran wieder aufzurichten.
Dezember 1187
V ARENNES -S AINT -J ACQUES
I sabelle schlang die Arme um Michel und vergrub das Gesicht in seinem Haar, immer noch ganz benommen von ihrer Lust. Auch Michel atmete schwer, während die letzten Wellen der Erregung durch seinen Körper rollten, und seine Lippen berührten ihre Halsbeuge. So lagen sie lange da, tief erschöpft, die Hände ineinander verschlungen.
Es war ein windiger, dunkler Wintertag Anfang Dezember. Sturmböen wehten um die Herberge, rüttelten an Wänden und Dachschindeln, pfiffen um den Kamin. Als sie anfingen zu frieren, zog Michel die Decke hoch und nahm Isabelle in den Arm, und sie krochen bis zur Nasenspitze unter das weiche Fell. Isabelle wünschte, sie müsste ihn nie mehr loslassen, er könnte für immer hierbleiben, bei ihr, in der Sicherheit dieser kleinen Gästekammer. Seit zwei Wochen schon lebte sie Tag für Tag in der Furcht, er könnte von einem Schwert oder Pfeil getroffen und verletzt oder getötet werden, wenn er gemeinsam mit seinen Schwurbrüdern de Guillorys Angriffe zurückschlug. Die Angst um ihn nahm ihrer Liebe jegliche Unbeschwertheit, verlieh ihr stattdessen eine beinahe verzweifelte Heftigkeit, wie sie es noch nie erlebt hatte. Jeden Morgen, jede Nacht betete sie, die Fehde möge endlich aufhören, doch die Kämpfe gingen weiter, immer weiter, ohne dass eine der beiden Seiten den Sieg erringen konnte. Wenn es Michel gelang, sich für einige Stunden von seinen Pflichten davonzustehlen, seinen Leibwächtern zu entwischen und Isabelle in ihrem geheimen Schlupfwinkel zu treffen, liebten sie sich mit einer Gier, die aus dem Bewusstsein geboren war, dass es das letzte Mal sein konnte.
»Wann musst du fort?«, murmelte Michel schläfrig.
»Heute Abend. Gaspard und meine Mutter erwarten mich erst zum Essen.«
»Das ist gut.« Er küsste ihren Hals, und sie fuhr ihm mit den Fingerkuppen durch das Haar.
Leise, kaum hörbar, fragte sie: »Warum kann es nicht immer so sein wie jetzt?«
»Weil dann alle wegen uns gelb vor Neid wären, schätze ich.« Er blickte sie an. »Du weinst ja.«
»Schon gut, es ist nichts.« Sie wischte sich die Tränen ab. »Kümmere dich nicht darum.«
Er küsste ihre Stirn, ihre Wange, ihre Lippen. »Hab keine Angst. Mir geschieht schon nichts.« Er wusste immer, was in ihr vorging. Manchmal erschien es ihr gar, als könne er ihre Gedanken lesen.
»Das sagt sich so leicht.«
»Yves und Gérard passen den ganzen Tag auf mich auf. Außerdem hat Jean mir schon wieder einen neuen Talisman gegeben. Es ist jetzt mein dritter. Inzwischen sollte ich so gut geschützt sein, dass ich mich einer ganzen Armee entgegenstellen könnte, ohne einen Kratzer abzubekommen.«
Isabelle musste lächeln. »Na dann.«
Der Wind war etwas abgeflaut und trug aufgeregte Stimmen zur Dachkammer herauf.
»Was ist denn da draußen los?«, fragte sie besorgt. »Ein Angriff?«
Michel stand auf und trat nackt ans Fenster.
Isabelle schlang sich die Decke um den Körper, ging zu ihm und spähte hinab zu dem kleinen Platz vor dem Nordtor. Da die Baustelle inzwischen zu gut befestigt war und außerdem ständig bewacht wurde, hatte de Guillory sich darauf verlegt, die Besitztümer der Schwurbrüder anzugreifen, um sie da zu treffen, wo es
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