Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
beschränkten sie sich auf jene Viertel, die besonders bedroht waren. Während Michel den Salzmarkt mit seinen Kornspeichern bewachte, machte Charles Duval an der Brückenbaustelle seine Runden. Am Domplatz standen zwei seiner Knechte und bei den Lagerhäusern zwei Söldner. Jede Gruppe hatte ein Signalhorn bei sich, damit sie die anderen bei Gefahr zu Hilfe rufen konnte.
Meist gelang es den Schwurbrüdern, de Guillorys Handlanger zu vertreiben, bevor sie ernstlich Schaden anrichten konnten. Manchmal jedoch schafften es die Kriegsknechte, Vieh und andere kostbare Waren zu rauben oder irgendwo Feuer zu legen. Gut die Hälfte der Schwurbrüder hatte bereits schmerzliche Verluste erlitten. Außerdem waren bei den nächtlichen Überfällen bislang ein Knecht und zwei Söldner getötet und noch einmal so viele verletzt worden. Unter den Verwundeten war auch Louis, der vorige Woche bei einem Scharmützel mit de Guillorys Männern einen bösen Schnitt am Oberschenkel davongetragen hatte. Ein Medicus kümmerte sich um ihn, und Michel betete, dass die Wunde keine bleibenden Schäden hinterließ.
Am Salzmarkt suchten sie sich eine windgeschützte Ecke, von der aus sie die beiden Kornspeicher der Gilde im Blick hatten. Dort warteten sie und tranken den restlichen Wein, bis die Glocken zur Laudes schlugen und der Wind den Gesang der Brüder von Notre-Dame-des-Champs herübertrug. Als Michel schon dachte, dass dies eine ruhige Nacht werden würde, ertönte plötzlich ein fernes Hornsignal.
Er war sofort hellwach. »Das kam von der Brücke. Gérard, du bleibst hier. Nimm das Horn.«
Yves und er rannten zur Baustelle, wo sich bereits ein Knecht vom Domplatz und einer der Söldner vom Fischmarkt eingefunden hatten. »Wo ist Duval?«, fragte Michel.
»Ich weiß es nicht«, antwortete der Söldner. »Als ich herkam, war er schon weg.«
Vom Flussufer näherte sich ihnen das schwankende Licht einer Laterne.
»Charles?«, rief Michel.
»Es waren drei oder vier«, sagte der Kaufmann schnaufend. »Sie haben sich vorne bei der Brücke herumgetrieben. Ich glaube, Berengar war bei ihnen. Als ich sie entdeckte, haben sie Fersengeld gegeben.«
»Irgendwelche Schäden an der Brücke?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
Von den Unterständen der Zimmerleute erklang dumpfes Gepolter. Die Männer hasteten über die verschneite Baustelle und sahen gerade noch, wie ein Stapel Bauholz die Uferböschung hinabrutschte. Die Stämme durchschlugen das Eis und versanken im schwarzen Wasser der Mosel.
»Da drüben!«, rief Yves und rannte in Richtung Stadtmauer.
Es war zu dunkel, als dass Michel etwas hätte sehen können, zumal ein Luftzug seine Laterne löschte, als er Yves nachsetzte. Doch er hörte Geräusche. Sie kamen von der Bresche in der Wehrmauer.
Sie wollen in die Stadt.
»Ihnen nach!«, rief er. »Lasst sie nicht entkommen.«
Nach dem Hornsignal dauerte es nicht lange, bis Aristide von der Baustelle Rufe vernahm. Geduldig zählte er bis hundert, ehe er den beiden Kriegsknechten mit einer Handbewegung befahl, ihm zu folgen.
Sie hatten sich oberhalb des Flussufers zwischen den Büschen versteckt, in der Nähe der Anlegestege. Leise liefen sie an der Wehrmauer entlang, schlüpften durch eine Bresche und huschten durch die Gassen zum Fischmarkt. Vor den Lagerhäusern stand nur noch ein Mann Wache, in der Hand eine Laterne. Schneeflocken wirbelten in der Glocke aus trübem Licht, die den Posten umgab. Aristide nahm seine Armbrust vom Rücken, lud sie mit der frisch geölten Spannkurbel und schoss. Stöhnend ging der Wächter zu Boden, die Laterne plumpste in den Schnee und erlosch. Als Aristide zu ihm rannte, versuchte er gerade, sich aufzurappeln. Er war nicht schwer verletzt – der Bolzen war in seinem Panzerhemd stecken geblieben und hatte ihm allenfalls eine Fleischwunde zugefügt.
»Habt Gnade!«, keuchte er. Aristide stieß ihm das Schwert in die Kehle.
Seine Männer schlossen zu ihm auf. »Welches?«, fragte einer.
»Eins ist so gut wie das andere. Sucht euch eins aus.«
Die Kriegsknechte liefen zu einem der Lagerhäuser, öffneten die Weinschläuche und besprenkelten die Holzwände mit Lampenöl. Derweil zückte Aristide seine Zunderbüchse und steckte eine Fackel an. Als der Kiefernscheit brannte, hielt er ihn ans Tor des Lagerschuppens. Augenblicklich ging das Holz in Flammen auf.
»›Ich bin gekommen, um Feuer zur Erde zu werfen‹«, murmelte Aristide, während der Flammenschein heiß auf seinem Gesicht lag. Er warf die
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