Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
hatte. Stöhnend kniete er im Schlamm, und Pierre Melville versuchte vergeblich, ihm beim Aufstehen zu helfen.
Unter den Schwurbrüdern und ihren Helfern herrschte inzwischen ein heilloses Durcheinander. Anstatt geschlossen gegen den Feind vorzugehen, irrten die Männer umher oder ließen sich in fruchtlose Einzelgefechte verwickeln. Zwar brüllte Charles Duval Befehle und versuchte, Söldner und Knechte um sich zu versammeln, doch in dem Getümmel gelang es ihm nicht, sich Gehör zu verschaffen. De Guillory machte sich die strategische Unerfahrenheit seiner Gegner zunutze und wütete auf der Baustelle wie ein Fuchs im Hühnerstall. Seine Reiter trieben Caboches Schmiede auseinander und jagten sie am Flussufer entlang, sodass mancher sich nicht anders zu helfen wusste, als in die Mosel zu springen. Zwei Fußknechte warfen Werkzeug und ganze Stapel von Bauholz und Steinen ins Wasser und hieben mit ihren Äxten auf die Haltetaue und -streben des Brückengerüstes ein, ohne dass jemand sie aufhielt.
»Michel!«, brüllte Jean, verlor seinen Bruder jedoch aus den Augen. Er lief zur Brücke und durchbohrte, von jähem Zorn über die blinde Zerstörungswut erfasst, einen der Fußknechte von hinten mit dem Spieß. Der andere Mann wirbelte herum und hieb mit der Axt auf ihn ein. Jean schaffte es gerade noch, seine Klinge zu zücken und einen Streich abzuwehren, ehe der nächste Streich so hart auf seinen Schild donnerte, dass er in den Schlamm fiel. In Erwartung des tödlichen Schlages biss er die Zähne zusammen, doch der Hieb kam nicht. Der Soldat hatte sich von ihm abgewandt und lief davon.
Jean rappelte sich auf, was ihm wegen des Gewichts von Kettenhemd und Schild alles andere als leichtfiel. Er sah, dass de Guillory das Schwert über dem Kopf schwenkte, brüllend seine Männer um sich sammelte und sich zurückzog. Bei den Fischteichen zügelte der Ritter noch einmal sein Schlachtross und schrie: »Das Blutvergießen wird erst aufhören, wenn diese Brücke verschwunden ist. Es liegt allein in Eurer Hand!« Er riss sein Pferd herum und preschte davon, und die Schlacht endete so plötzlich, wie sie begonnen hatte.
Als die Anspannung ihn aus ihrem Griff entließ, verspürte Jean mit einem Mal große Erschöpfung. Er rammte sein Schwert in den Boden, zog seinen Helm ab und stülpte ihn über den Griff der Waffe. Abgesehen von ein paar Kratzern und blauen Flecken war er unverletzt davongekommen. Er küsste seinen Talisman, schob ihn hinter seinen Gürtel und entledigte sich seines Schildes, der plötzlich schrecklich schwer geworden war.
Die Baustelle bot ein Bild der Verwüstung. Mehrere Männer lagen auf dem Boden, verletzt oder sterbend. Der Brücke selbst hatten die Angreifer kaum etwas anhaben können; dafür war der hölzerne Hebekran umgestürzt, und sie hatten viel Baumaterial verloren.
»Michel«, rief Jean erleichtert, als er seinen Bruder entdeckte. Er kniete vor einem Verschlag und hatte den Helm abgelegt; sein Gesicht und sein kurzes blondes Haar waren voller Schlamm. »Dem heiligen Jacques sei Dank, du bist wohlauf!«
Erst als Jean zu ihm lief, sah er, dass Michel bei einem liegenden Mann saß und dessen Kopf auf seinen Schoß gebettet hatte.
Es war Marc Travère. Ein Axthieb hatte sein Kettenhemd zwischen Schulter und Hals aufgeschlitzt und ihm das Schlüsselbein zerschmettert. Aus der Wunde quoll immer noch Blut. Der sanfte Hüne atmete nicht mehr.
Michel hob den Kopf. Tränen rannen ihm über das Gesicht und zeichneten dünne Linien in den Schmutz auf seinen Wangen.
»Wie viele sind es?«, fragte Michel eine Stunde nach der Schlacht.
»Vier.« Pierre Melville war klatschnass, genau wie Michel, doch er schien den Regen gar nicht zu bemerken. »Außer Travère ein Knecht und zwei Söldner. Noch einmal so viele sind verwundet. Zwei weitere werden die Nacht nicht überstehen, schätze ich.«
Sie hatten die Verletzten in die Stadt gebracht, damit sich die Wundärzte um sie kümmern konnten. Da Raymond Fabre momentan nicht imstande war, Befehle zu geben, hatte Melville das Kommando übernommen. Mit ruhiger Hand hatte er die Männer in verschiedene Gruppen aufgeteilt und ließ die Toten zu einem Verschlag tragen, die Baustelle aufräumen und die Befestigungen ausbessern. Jeder packte mit an, Knechte und Schwurbrüder, Schmiede und Söldner.
Michel blickte zu dem Schuppen, in dem de Guillorys Gefallene lagen. Vier Männer. Zwei verwundete Waffenknechte hatten die Schwurbrüder gefangen genommen und zur
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