Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
siehst also, uns geht es gut«, schloss Michel. »Erinnerst du dich an meinen Traum, Varennes könnte eines Tages so frei und reich werden wie Mailand? Zum ersten Mal glaube ich, er könnte eines Tages wahr werden.«
Eine Weile stand er schweigend da, die Hände vor dem Gürtel gefaltet. »Ich hätte also allen Grund, zufrieden zu sein«, sagte er schließlich. »Wäre da nicht die Sache mit Isabelle. Ständig sitzt uns die Angst im Nacken, Gaspard könnte uns auf die Schliche kommen. Ich habe das so satt. Hilf mir, Vater. Vielleicht kannst du bei den Heiligen ein gutes Wort für mich einlegen und sie bitten, Gaspard ein Zeichen zu senden, dass er mir vergeben soll. Ich weiß nicht, was ich tue, wenn er sie einem anderen zur Frau gibt …«
Seine Stimme klang rau und belegt. Er schluckte den Kloß in seiner Kehle hinunter und fuhr sich mit der Hand durch das Haar am Hinterkopf. »Bitte entschuldige. Ich wollte mich nicht beklagen und dich mit meinen Sorgen behelligen. Ich lasse mich nicht unterkriegen, du hast mein Wort. Und wer weiß, vielleicht ist beim nächsten Mal, wenn ich dich besuche, schon alles gut. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, ganz so, wie du es uns gelehrt hast.«
Er setzte die Mütze auf. »Ich muss jetzt gehen. Es wartet viel Arbeit auf mich. Bis bald.« Michel kniete nieder und bekreuzigte sich, und während er davonschritt, war ihm, als blickte sein Vater ihm nach, bis er den kleinen Friedhof unter den drei Birken verlassen hatte.
August 1188
B URG G UILLORY
A ristide lehnte im Schatten an der Wehrmauer, nippte missmutig an seinem Weinkelch und beobachtete zwei Leibeigene, die ächzend einen frisch zubehauenen Fenstersturz über den Hof schleppten. Obwohl es auf September zuging, war es immer noch glühend heiß, und über der Vorburg lag eine schläfrige Ruhe. Hier klopfte ein Steinmetz lustlos auf einem Brocken herum, da errichteten ein paar Maurer quälend langsam ein Fundament. Sonst arbeitete niemand auf der Baustelle. Die Lastkräne standen still. Auf den Gerüsten lagerte sich allmählich Staub ab. Und das Werkzeug in den Schuppen hatte seit Wochen kein Mensch angerührt.
Aristide wusste schon den ganzen Tag nichts mit sich anzufangen. Bei dieser Hitze hatte er keine Lust auszureiten. Auf die Jagd gehen wollte er auch nicht. Am liebsten hätte er jemanden verprügelt.
Er spuckte den Wein aus. »Was ist das eigentlich für eine widerliche Brühe! Schmeckt wie Ziegenpisse.« Er schleuderte den Zinnkelch quer über den Hof und traf fast den hinteren der beiden Leibeigenen. Der Mann erschrak so sehr, dass er stolperte und den Fenstersturz fallen ließ. Der Stein brach in der Mitte entzwei.
»Du dummer Tölpel!«, schrie Aristide. »Weißt du, was ein Fenstersturz kostet?«
»Bitte verzeiht, Herr, es … es war ein Versehen«, stammelte der Mann. »Ich weiß nicht, wie das geschehen konnte …«
Mit drei langen Schritten war Aristide bei ihm und nahm ihn in den Schwitzkasten. »Muss ich erst mit deinem Schädel die Wehrmauer einschlagen, dass du begreifst, wie teuer Baumaterial ist?«
»Habt Gnade – ich flehe Euch an«, ächzte der Leibeigene zappelnd.
Hinter ihnen sagte jemand: »Aristide de Guillory, wie eh und je ein Ausbund an Ritterlichkeit. Beschützer der Schwachen und gütiger Herr der ihm anvertrauten Leibeigenen.«
Ohne den Kopf des Mannes loszulassen, wandte Aristide sich um. »Bischof Ulman«, knurrte er.
» Pax vobiscum.« Der Kirchenmann schloss die Tür seines Reisewagens, der auf den Hof gefahren war. Der Saum seiner Soutane strich über den Staub, als er, begleitet von seinem Diener Namus und einem Waffenknecht, heranschritt. »Was hat diese arme Seele verbrochen, dass Ihr sie derart quälen müsst?«
»Kostbaren Stein vergeudet! Schaut Euch diesen Fenstersturz an – ein ganzer Batzen Silber beim Teufel! Aber das wird diesem Hund nicht noch einmal passieren. Er wird jeden einzelnen Denier bitter bereuen.«
»Erbarmen«, wimmerte der Leibeigene.
Ulman blickte zu den verwaisten Gerüsten auf und schirmte dabei seine Augen vor der Sonne ab. »Wofür braucht Ihr Stein, wenn hier nicht mehr gearbeitet wird? Und das bereits seit Wochen, wie mir scheint.«
»Es wird gearbeitet. Seht Ihr nicht die Maurer?«
»Wann haben sie diesen Mauerabschnitt begonnen?«
»Im Juni.«
»Nun, ich bin kein Baumeister, aber sogar ich weiß, dass selbst die schlechtesten Handwerker imstande sind, in zwei Monaten höher zu mauern als zwei Ellen. Hört auf, mir Märchen zu
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