Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
erreichten, reckte er den Kopf. Nichts. Das Grundstück war verwildert, die kleine Kate wirkte unbewohnt.
Was ging hier vor?
Mit seinen Männern im Schlepptau schlich er zu der ärmlichen Behausung und presste das Ohr an die Tür.
Stille.
Er wollte die Tür aufstoßen – und hielt inne. Da! Eine leise Stimme.
Der Tuchhändler runzelte die Stirn. War das Isabelle?
Isabelle schwieg, seit sie sich auf dem Lager aus Fellen und Decken geliebt hatten. In Gedanken versunken saß sie da, ein Bein ausgestreckt, das andere angewinkelt, den Kopf gegen die Steinwand gelehnt. Ihre Augen glitzerten, wie immer, wenn sie allein durch Welten wanderte, die nur sie kannte.
»Wir könnten immer noch fortgehen«, sagte sie unvermittelt.
Michel lag neben ihr und stützte den Kopf mit der Hand. Nun setzte er sich auf. »Isabelle …«, begann er.
»Was spricht dagegen?«
»Dass du verheiratet bist.«
»Vielleicht vor dem Gesetz. Aber nicht mit dem Herzen. Man hat mir das Ehegelübde aufgezwungen. Ich fühle mich nicht daran gebunden.«
»Die Kirche wird das anders sehen.«
»Wann hat dich je die Meinung der Kirche gekümmert?« Sie lächelte. »Vorhin jedenfalls nicht, als ich mit geöffneten Schenkeln auf dir saß.«
Michel spürte ein Prickeln in den Lenden. Es erregte ihn, wenn sie solche Dinge sagte, aber jetzt war nicht der richtige Augenblick für eine neuerliche Runde auf dem Schlaflager. Er musste ihr dieses verrückte Vorhaben ausreden. »Du kannst deinen Ehemann nicht verlassen. Es wäre eine schwere Sünde. Und ein Verbrechen dazu.«
»Ich hintergehe Chastain mehrmals in der Woche«, erwiderte sie gelassen. »Auf eine Sünde mehr oder weniger kommt es nicht an.«
Michel gab sich geschlagen. »Du meinst es tatsächlich ernst.«
»Ja«, sagte sie.
»Wann?«
»Hernance will Ende des Monats nach Metz reisen. Sobald er fort ist. Ich ertrage dieses Leben nicht länger. Nicht einen Tag.«
Was sie da sagte, war verrückt, töricht, einfach undenkbar. Und doch – der Gedanke hatte seinen Reiz. Keine heimlichen Treffen mehr. Keine weiteren schlaflosen Nächte, in denen er nicht daran zu denken versuchte, dass sie gerade mit einem anderen Mann das Bett teilte. All das hätte ein Ende. Er beschloss, ihren Plan weiterzuspinnen, nur um zu sehen, wie es sich anfühlte, darüber zu sprechen. »Du könntest dich frühmorgens aus dem Haus stehlen. Ich warte außerhalb der Stadt auf dich – am besten draußen bei der Richtstätte, da ist um diese Zeit niemand. Du versteckst dich in meinem Reisewagen, bis wir weit genug von Varennes weg …«
Michel führte den Satz nicht zu Ende, denn in diesem Moment erschütterte ein Stoß die Tür. Erschrocken sprang er auf. Noch ein Schlag, der Riegel, den er von innen vorgelegt hatte, brach ab, und die Tür flog auf.
Herein stürzte Hernance Chastain. Der Tuchhändler blieb abrupt stehen, die Hände zu Fäusten geballt. Er war aschfahl, seine Lippen bebten. Mit aufgerissenen Augen starrte er erst Michel an, dann Isabelle. »Du verlogene Hure«, krächzte er mit erstickter Stimme.
Irgendwie gelang es Michel, sein Entsetzen zu bändigen und mit ruhiger Stimme auf den Tuchhändler einzureden. »Bitte hört mir zu, Hernance …«
Chastain stieß ihn zur Seite. Hinter ihm drängten zwei bewaffnete Männer in die Hütte. »Greift sie euch!«
Isabelle, die sich hastig eine Decke um den nackten Leib geschlungen hatte, wich zurück, doch die Tagelöhner packten sie und zerrten sie zur Tür.
»Lasst sie los!«, brüllte Michel. Als er dazwischengehen wollte, verstellte ihm Chastain den Weg. Der Tuchhändler schwang seinen Knüppel. Die Holzkeule traf Michel an der Schläfe, er taumelte zurück, stolperte über das Schlaflager und fiel zu Boden.
»Michel!«, schrie Isabelle.
Das war das Letzte, was er hörte, bevor ihn Dunkelheit umfing.
Als er aufwachte, schmerzte sein Schädel so sehr, dass er glaubte, er müsse sich übergeben. Stöhnend setzte er sich auf.
Was, bei allen Teufeln der Unterwelt, war geschehen?
Langsam, Stück für Stück, fiel ihm alles wieder ein, jede peinvolle Einzelheit.
Er musste zurück zur Stadt, musste herausfinden, was mit Isabelle geschehen war. Bitte, Herr, mach, dass er ihr nichts angetan hat. Schwankend klaubte er seine Kleider auf, zog sich an und trat ins Freie.
Er schien nicht lange ohnmächtig gewesen zu sein. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, war höchstens eine halbe Stunde vergangen, seit Chastain ihn niedergeschlagen hatte. Michel beschloss,
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