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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher erschien es ihm, dass Géroux, de Guillory oder Bischof Ulman – oder alle drei gemeinsam – irgendwie von seinem Verhältnis mit Isabelle erfahren und beschlossen hatten, sich ihre Verfehlungen zunutze zu machen, um ihn zu vernichten.
    Ja. So musste es gewesen sein.
    Beim heiligen Jacques, wieso habe ich nichts gemerkt?
    Martel und die Stadtknechte geleiteten ihn in den großen Saal, wo man an der Stirnseite die Gerichtsbänke aufgestellt hatte. Außer einigen Schreibern waren bisher nur Hernance Chastain und dessen Familie anwesend. Der Tuchhändler stand mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in einer Ecke und bot wahrlich ein Bild heulenden Elends: das Gesicht bleich, das Haar wirr, die Augen rot und aufgequollen. Mit sengendem Blick starrte er Michel an, und seine Lippen bebten, als wolle er sogleich in anklagendes Geschrei ausbrechen. Michel blickte in eine andere Richtung – und entdeckte Aristide de Guillory. Der Ritter, der normalerweise nie erschien, wenn das Stadtgericht tagte, saß in einer Nische neben dem Kamin, hatte das rechte Knie an die Brust gezogen, ließ das linke Bein lässig von der Steinbank hängen und drehte einen Becher Wein in seiner Pranke. Dabei grinste er wölfisch. Das beantwortete Michels Frage, wem er dieses zügige Verfahren verdankte.
    »Ich erhoffe mir ein unterhaltsames Schauspiel«, rief de Guillory ihm zu. »Ihr werdet mich doch nicht enttäuschen, Herr Gildemeister?« Er nahm einen tiefen Schluck und seufzte genüsslich.
    Michel blickte starr geradeaus zu den Gerichtstischen, auf denen Bücher, Dokumente und Kruzifixe lagen. Ehebruch war eines der schwersten Vergehen, die in die Zuständigkeit des Niedergerichts fielen. Er wusste, dass er nicht auf ein mildes Urteil hoffen konnte – selbst ein ihm wohlgesonnener Bischof würde ihn hart bestrafen. Trotzdem würde er als Mann wahrscheinlich mit einer – wenngleich hohen – Geldbuße davonkommen. Daher galt seine Sorge vornehmlich Isabelle. Die Strafen, die Ehebrecherinnen drohten, waren allesamt beschämend und scheußlich.
    Wo ist sie? Hat Martel sie in Haft nehmen lassen? Hat sie die Nacht im Kerker verbracht?
    Just in diesem Augenblick führte Gaspard sie herein. Bei ihnen waren zwei Stadtbüttel sowie Marie und Lutisse, die Gesichter verweint. Michel schluckte. Hatte ihr Bruder sie zu sich geholt? Falls ja, konnte das nur eines bedeuten: Chastain hatte sie bereits verstoßen.
    Michel hätte sein ganzes Vermögen hergegeben, wenn er jetzt bei ihr hätte sein können. Ihr Blick streifte ihn. War sie von Bruder und Ehemann geschlagen worden? Er wusste es nicht – sie wirkte blass und erschöpft, aber körperlich unversehrt, und ihr Wille schien ungebrochen.
    Gesang erfüllte den Saal. Die Kleriker des Domkapitels trugen den Schrein mit dem Reliquien des heiligen Jacques herein und stellten die vergoldete Truhe vor die Tische. Junge Novizen intonierten Psalmen, während die Stadtschöffen eintraten. Gemeinsam mit Tancrède Martel nahmen die elf Männer an den Tischen Platz. Géroux ließ es sich nicht nehmen, beim Anblick Michels dünn zu lächeln. Endlich haben wir dich da, wo du hingehörst, sagten seine eisblauen Augen.
    Weitere Männer kamen durch die Vordertür, ausnahmslos Mitglieder der Gilde. Milon Poupart schritt zu Hernance Chastain; vermutlich würden er und Chastains Brüder dem Tuchhändler als Eidhelfer beistehen. Gaspard hatte für diese Aufgabe Pérouse, Baudouin und Vanchelle herbestellt. Michel hatte darauf verzichtet, Eidhelfer zu benennen. Er wollte keinen seiner Freunde in diese Sache hineinziehen. Davon abgesehen gab es nicht den geringsten Zweifel daran, wie dieses Verfahren ausgehen würde. Selbst eine Hundertschaft Coniuratoren auf seiner Seite hätte an seinem vorbestimmten Ausgang nichts ändern können.
    Inzwischen hatte sich vor dem Palast eine Menschenmenge eingefunden. Gut zweihundert Leute reckten die Hälse, in der Hoffnung, einen Blick auf die aufregenden Vorgänge im Saal zu erhaschen.
    Zu guter Letzt erschien Bischof Ulman. Normalerweise saß Martel dem Schöffengericht vor, doch bei Glaubensverfehlungen und Vergehen gegen kirchliches Recht leitete der Bischof die Verhandlung selbst. Mit ernster Miene trat er an den Tisch und eröffnete das Gericht, indem er mit der Rechten ein Kreuz schlug.
    »Hernance Chastain, tretet vor. Ist es wahr, dass Eure Gemahlin Isabelle Euch mit Michel de Fleury, dem Vorsteher der Kaufmannsgilde, betrogen und

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