Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
Vom Netzwerk:
den kürzesten Weg nach Varennes zu nehmen und über die Äcker zu gehen. Die Bauern unterbrachen ihre Arbeit und glotzten ihn an, während er den Weg entlangeilte. Vermutlich hatten sie gesehen, wie Chastain und seine Tagelöhner die halbnackte Isabelle zur Stadt zerrten, und fragten sich nun, ob er etwas damit zu tun hatte. Sollten sie sich denken, was sie wollten. Seine Lage konnte das kaum verschlimmern.
    Seine Augen brannten, und Schmerz rollte in immer neuen Wogen von innen gegen seine Schläfen.
    Als er noch einen Steinwurf vom Heutor entfernt war, sah er, dass sich ihm von der Stadt mehrere Gestalten näherten. Michel blinzelte und erkannte Gaspard und vier seiner Knechte. Gaspard brüllte etwas, und die fünf Männer verfielen in Laufschritt.
    Er weiß es. Chastain muss ihm alles gesagt haben. Am Rand des Ackers blieb Michel stehen und wartete. Er würde nicht davonlaufen. Er war der Gildemeister von Varennes-Saint-Jacques. Er stellte sich den Folgen seiner Sünden.
    Die Bauern gafften, während die fünf Männer näher kamen.
    »Meine Schwester zu entehren!«, brüllte Gaspard. »Hast du mir nicht schon genug angetan?«
    Er stürzte sich auf Michel, packte ihn am Kragen. Michel wehrte sich, war der aus rasendem Zorn geborenen Kraft Gaspards jedoch nicht gewachsen und wurde nach kurzem Handgemenge zu Boden geschleudert. Ehe er sich aufrappeln konnte, hatte sich Gaspard auf ihn geworfen und deckte ihn mit Fausthieben ein.
    »Du Scheißkerl! Du Hurensohn! Du dreckiger Bastard! Und dich habe ich einmal meinen Freund genannt. Ich bring dich um! Ich bring dich um!«
    Schlag um Schlag hämmerte auf Michels Kiefer, seine Augen, seine Wangen ein, und Gaspard keuchte dabei wie ein Wahnsinniger. Michel versuchte, sein Gesicht mit den Armen zu schützen, vergeblich. Nach einem besonders harten Schlag gegen den Wangenknochen begannen ihm die Sinne zu schwinden.
    Endlich ließ Gaspard von ihm ab. Michel legte den Kopf zur Seite und spuckte einen Schwall Blut und einen ausgeschlagenen Backenzahn aus.
    Gaspard stand am Wegesrand, schwer atmend. Er hatte seinen Dolch gezogen. Seine Finger krampften sich um den Knauf.
    »Worauf wartest du?«, flüsterte Michel. »Tu es. Na los.«
    Mit einem Schluchzen rammte Gaspard die Klinge in die Scheide, fuhr herum und lief davon.
    »Habt ihr schon gehört? Die schöne Isabelle Chastain hatte ein unzüchtiges Verhältnis mit Michel de Fleury! Ja, mit dem Meister der Kaufmannsgilde! Jeden Tag haben sie sich in der alten Holzfällerhütte am Waldrand getroffen und es miteinander getrieben. Isabelles Gemahl hat sie erwischt, als sie sich gerade nackt auf dem Bett wälzten. Ihr Bruder wollte den Gildemeister daraufhin umbringen. Sein Messer saß schon an seiner Kehle!«
    Niemand konnte später sagen, wer das Gerücht in die Welt gesetzt hatte. Vielleicht die Bauern, die die Schlägerei auf dem Acker beobachtet hatten. Vielleicht auch Carons Bedienstete, die eifrig getratscht hatten, nachdem aus den Gemächern der Herrschaften stundenlang Geschrei und Gezeter gedrungen waren. Wie ein Lauffeuer breitete es sich aus, und am Abend wusste ganz Varennes, was in der Hütte am Waldrand geschehen war – oder glaubte es zumindest zu wissen. Denn jeder, der es weitererzählte, fügte dem Gerede neue pikante Details hinzu.
    Was für eine Geschichte! Der Gildemeister liebte die Schwester seines Erzfeindes und betrog mit ihr ihren Gemahl – einfach köstlich! So etwas hatten die Bürger von Varennes schon lange nicht mehr gehört. An Marktständen, in Handwerksstuben und Schenken zerrissen sie sich die Mäuler und bekamen nicht genug davon.
    Bald stand das Urteil des Stadtvolkes fest: Was Michel und Isabelle getan hatten, sei unerhört, einfach schamlos, eine Schande. De Fleury könne froh sein, dass Caron ihn nicht abgestochen hatte. Der Bischof solle ihn und das Weib dafür öffentlich züchtigen lassen.
    Vorsichtig betastete Michel sein Gesicht. Seine Hand zuckte zurück, als der Schmerz von Neuem aufflammte. Trotz der Wundsalbe, mit der ihn Matenda eingerieben hatte, waren die Schwellungen und Blutergüsse über Nacht schlimmer geworden. Außerdem war seine Nase gebrochen. Er wagte nicht, in den Spiegel zu schauen. Er musste scheußlich aussehen.
    Die körperlichen Schmerzen waren äußerst unangenehm. Doch sie waren nichts, verglichen mit den Sorgen, die ihn quälten. Was würde mit Isabelle geschehen? Hatte Chastain sie geschlagen, sie womöglich gar verstoßen und aus der Stadt gejagt, wie es

Weitere Kostenlose Bücher