Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Gerste anbaute. In knappen Worten erklärte er ihr, er habe Land und Hof von seinen Eltern geerbt und den Besitz seit ihrem Tod mit harter Arbeit vergrößert. Bewirtschaftet werde das Land von ihm selbst und seinen Knechten und den Tagelöhnern, die er im Frühjahr in der Stadt anwarb.
Wie die meisten gebildeten Lothringer konnte Isabelle recht gut Deutsch, sodass sie ihren Gemahl meist verstand, obwohl er mit wesentlich stärkerem Dialekt sprach als Eberold und die Leute in Speyer.
Als sie wieder zu Hause waren, rief Thomasîn seine Knechte und Mägde zusammen und schärfte ihnen ein, dass Isabelle nun die Herrin des Gutes sei. Ihre Anweisungen seien ohne jeden Widerspruch auszuführen; andernfalls werde er sie bestrafen. Schulterzuckend gehorchten die Hausbedienten und behandelten sie stets mit dem nötigen Respekt, wenn schon nicht freundlich.
Eine Ausnahme bildete lediglich Winand. Der junge Stallknecht konnte sie aus unerfindlichen Gründen nicht leiden und zeigte ihr seine Abneigung bei jeder Gelegenheit. Wie den übrigen Bediensteten waren auch ihm Isabelles Schwangerschaft und ihr kurzes Haar nicht lange verborgen geblieben. Während sich die anderen ihren Teil dachten und taktvoll den Mund hielten, machte er ständig spitze Bemerkungen, grinste höhnisch, wenn sie den Raum betrat, und lästerte hinter ihrem Rücken über sie. Isabelle scherte sich nicht darum – es hätte ihr nicht gleichgültiger sein können, was irgendein Knecht von ihr hielt. Thomasîn jedoch platzte schon am vierten Tag ihrer Ehe der Kragen. Als er durch Zufall Winands Unverschämtheiten mitbekam, herrschte er den Knecht an und befahl ihm, dergleichen zu unterlassen. Winand machte ein Gesicht, als bräche er gleich in Tränen aus. Mit einem Fluch auf den Lippen stürmte er aus dem Haus. Von da an ließ er sie in Ruhe.
Bereits am zweiten Tag nach der Hochzeit kehrte der Alltag auf das Landgut zurück, und mit ihm kamen seine Gefährten Einförmigkeit und Langeweile. Im Winter gab es auf einem Bauernhof nicht viel zu tun. Um die Tiere kümmerten sich die Knechte, um den Haushalt die Mägde, und die wenigen übrigen Arbeiten erledigte Thomasîn, sodass Isabelle von morgens bis abends herumsaß. Zerstreuung gab es keine. Thomasîn konnte nicht lesen und besaß folglich keine Bücher, für ausgedehnte Spaziergänge war es zu kalt, und die Brettspiele in der Stube halfen ihr in Ermangelung eines Mitspielers auch nicht weiter. Nach einigen Tagen hielt sie es nicht mehr aus und begann, im Stall und der Küche zu helfen.
Thomasîn nahm keine Notiz von ihren Bemühungen. Überhaupt änderte sich an seinem Verhalten nicht das Geringste. Tagsüber ging er ihr aus dem Weg. Bei den Mahlzeiten und abends in der Stube sprach er nur das Nötigste mit ihr. Wenn sie zu Bett gingen, drehte er ihr den Rücken zu und schlief meist wenig später ein. Seit ihrer Hochzeitsnacht hatte er sie nicht mehr angerührt. Isabelle konnte nicht behaupten, dass sie das bedauerte. Sie hätte nur gern gewusst, woran es lag.
»Er ekelt sich vor mir«, sagte sie eines Morgens zu ihrem Kind. Da sonst niemand mit ihr sprach, redete sie ständig mit dem ungeborenen Geschöpf in ihrem Leib – es wurde allmählich zu einer Gewohnheit. Dabei sprach sie Französisch, das kein Bewohner dieses Hauses verstand. »Die Schande, dir mir anhaftet, stößt ihn ab. Ich frage mich, wie viel Onkel Eberold ihm gezahlt hat, dass er mich heiratet.«
Das Kind bewegte sich, als hätte es ihre Worte gehört, und sie strich versonnen über ihren Bauch. Immer, wenn sie zu ihm sprach, sah sie einen Jungen vor sich. Er hatte dunkelblondes Haar und Michels blitzende Augen, und sein Lachen war ansteckend.
Aus Speyer hatte sie Pergament sowie Tinte und eine Feder mitgebracht. Als sie wieder einmal allein in der Stube saß, schrieb sie Michel endlich einen Brief und versteckte ihn in der Schlafkammer bei ihren Sachen.
Der erste Schritt war getan. Der zweite würde jedoch weitaus schwieriger werden. Wie kam der Brief nach Varennes?
Sollte sie ins benachbarte Dorf gehen und versuchen, ihn dort abzuschicken? Nein. Zum einen wäre das zu auffällig; zum anderen bezweifelte sie, dass in diesem kleinen Nest Reisende verkehrten, die ihren Brief mitnehmen würden.
Sie musste warten, bis sie wieder nach Speyer käme.
Der Zufall wollte es, dass sich schon wenige Tage später eine Gelegenheit ergab. Thomasîn und Winand wollten mit dem Ochsenwagen in die Stadt fahren, um Kerzen, Salz und einige andere
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