Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
ihn nicht. Immerhin war es Michels Kind.
Als sie schwieg, glitzerte Genugtuung in Eberolds Augen. »Die Hochzeit ist in zwei Wochen«, erklärte er. »Ich erwarte, dass du eine tadellose Braut abgibst und der Familie nicht noch mehr Schande machst. Haben wir uns verstanden?«
Isabelle nickte kaum merklich.
»Gut. Und jetzt will ich nichts mehr hören.«
Thomasîns Abschied am nächsten Morgen fiel äußerst knapp aus. Steif dankte der Freibauer Eberold für die Gastfreundschaft; Isabelle, ihrer Mutter und Lutisse nickte er lediglich zu, bevor er sich auf sein Pferd schwang und davonritt. Isabelle blickte ihm nach, bis er zwischen den Häusern verschwand, die Lippen zusammengepresst. Mit diesem Mann stimmte etwas nicht, wenngleich sie nicht zu sagen vermochte, was ihr solches Unbehagen bereitete. Eines jedoch wusste sie mit Gewissheit: Die Ehe mit ihm würde kein Vergnügen werden.
Es gab nichts, was sie gegen die Hochzeit tun konnte. Ihre Lage war aussichtslos. In den Tagen nach Thomasîns Besuch dachte sie darüber nach, ihrem Leben ein Ende zu setzen. War der Tod nicht dem Schicksal vorzuziehen, das ihr bevorstand? Eines Abends stand sie am Fenster im obersten Stock des Kaufmannshauses, erfüllt von einem einzigen Gedanken:
Spring.
Hätte ihr ungeborenes Kind sie nicht in diesem Augenblick getreten, hätte sie es getan.
V OGTEI A LTRIP
D ie Hochzeit fand kurz nach dem zweiten Advent statt, an einem klirrend kalten Sonnabend. Frostiger Wind pfiff über die verschneiten Wiesen und Felder, peitschte Schwaden von Eiskristallen vor sich her und heulte wie eine Heerschar ruheloser Seelen um die einsame Kapelle auf der Hügelkuppe. Die Gäste hüllten sich schlotternd in dicke Wollumhänge und blieben den Fenstern fern, in denen milchige Eiszapfen hingen. Viele waren nicht gekommen – außer Isabelles Mutter, Lutisse mit Flori und Eberolds Familie nur ein paar Bauern aus der nahe gelegenen Ortschaft sowie Thomasîns Knechte und Mägde, insgesamt vier an der Zahl. Angehörige besaß der Freibauer keine. Seine Eltern und sein einziger Bruder waren schon vor Jahren gestorben.
Thomasîn hatte sich eigens für die Hochzeit ein neues Gewand schneidern lassen, in dem er sich sichtlich unwohl fühlte; immerzu nestelte er an seinem Gürtel oder dem Kragen herum. Isabelle trug ein weites Kleid, das einigermaßen ihren Bauch verhüllte, und einen Schleier über dem kurzen Haar. Ein angetrunkener Dorfpfarrer las mit schleppender Stimme die Messe und spendete den Trausegen, wobei er sich ständig verhaspelte.
Anschließend zog die Hochzeitsgesellschaft zu Thomasîns Hof, der oberhalb des Rheins lag. Die Eisschicht auf dem Fluss war so dick, dass die Kinder des Dorfs darauf spielen konnten. Sie bewarfen einander kreischend mit Schneebällen und versteckten sich hinter den Schneeverwehungen am Ufer, aus denen gefrorenes Schilf ragte wie die Lanzenspitzen einer verschütteten Streitmacht.
Der Hof bestand aus mehreren Stein- und Holzgebäuden, deren Strohdächer dicke weiße Hauben trugen. Rauch quoll aus einem Schornstein, wurde vom Wind mal hierhin, mal dorthin getragen und verfing sich in den eisverkrusteten Zweigen der Birken, die ihre Äste nach dem Haupthaus ausstreckten. Zwei fette Schweine standen im Gehege vor den Ställen, trotzten tapfer der Kälte und fraßen aus einem Trog.
Unter anderen Umständen hätten die Idylle des einsamen Hofs und das Kinderlachen gewiss Isabelles Herz gerührt. Doch während sie an der Seite ihres Gemahls den Hügel hinabschritt, war sie blind für die Schönheit der Winterlandschaft. Die Gebäude zwischen den Birken erschienen ihr wie Mausoleen, wie das Ende aller Sehnsüchte, und wenn sie sich vorstellte, dass sie bis zu ihrem Tod hier leben würde, war ihr, als würde sie ersticken.
Das Fest war noch trostloser als die Zeremonie in der Kapelle. Obwohl Thomasîn das Feuer im Kamin schürte, vermochte es die Eiseskälte im Haus kaum zu vertreiben. Erst nach dem zweiten Becher heißen Würzweines wagten die ersten Gäste, ihre Umhänge abzulegen. Einer der Bauern holte eine geschnitzte Flöte hervor und begann zu spielen. Er konnte jedoch nur drei Lieder, die er so oft wiederholte, bis Thomasîn ihn anfuhr, er solle endlich damit aufhören. Hatten schon vorher nur wenige Gäste getanzt, so tat es nun gar niemand mehr. Nah beim Kaminfeuer kauerten die Leute auf den Bänken und verschlangen das fetttriefende Brot und das gebratene Schweinefleisch.
Die Hausbedienten und die Bauern aus
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