Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Schatz, sag deinem Vater guten Tag«, murmelte Isabelle, und tatsächlich: Der kleine Mann strahlte ihn an.
»Darf ich?«
Er machte einen Schritt über den Bach, und sie gab ihm den Jungen. Vorsichtig nahm Michel ihn auf den Arm.
»Mein Sohn.« Er konnte es immer noch nicht glauben.
»Ja.«
»Er hat dein Gesicht.«
»Eigentlich hat er dein Gesicht«, widersprach sie ihm. »Das sieht doch sogar ein Blinder.«
»Einigen wir uns darauf, er hat von uns beiden das Beste, in Ordnung?«
Sie lächelten einander an, und die seltsame Befangenheit begann sich allmählich zu legen.
»Komm«, sagte sie. »Setzen wir uns da hinüber.«
Nachdem sie sich im Gras niedergelassen hatten, fragte Michel: »Wie ist es dir ergangen?«
»Es könnte schlimmer sein.«
»Dieser Thomasîn – behandelt er dich anständig?«
»Er ist ein guter Mann.«
»Das hast du auch über Chastain gesagt.«
»Diesmal ist es anders«, versicherte sie ihm.
»Lässt er Rémy spüren, dass er nicht …«
»Nein. Er umsorgt ihn, als wäre er sein eigener Sohn.«
»Das ist gut«, sagte Michel, obwohl er einen Anflug von Eifersucht verspürte. »Wirst du ihm eines Tages sagen, wer sein richtiger Vater ist?«
»Ja. Wenn er alt genug ist.«
»Dein Gemahl wird das nicht gutheißen.«
»Mag sein.«
Er spürte, dass sie nicht mehr über Thomasîn reden wollte, was ihm nur recht war. Rémy begann zu zappeln. Er setzte sich den Jungen auf den Schoß und legte den Arm um ihn. »Wie geht es deiner Mutter und Lutisse?« Sie hatte ihm geschrieben, dass die Trauer um Gaspard beiden Frauen schwer zusetzte.
»Lutisse geht es allmählich besser. Sie kümmert sich um Flori – das gibt ihr Kraft. Und meine Mutter … Sie ist jetzt eine verarmte Witwe, abhängig von Onkel Eberolds Wohlwollen. Das macht ihr zu schaffen. Du weißt ja, wie sie ist. Sie trinkt zu viel.«
»Ich war bei Gaspard, bevor … sie ihn abholten.« In seinen Briefen hatte er ihr von seinen Erlebnissen seit ihrer Trennung berichtet: von den Unruhen in Varennes, dem Anschlag auf sein Leben, dem Feuer. Nur seine letzte Begegnung mit Gaspard hatte er ausgespart. Er wollte ihr persönlich davon erzählen. »Er hat nach mir geschickt. Er wollte sich mit mir aussöhnen.«
Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. »Hast du ihm verziehen?«
»Wir haben einander verziehen. Wie es sich für alte Freunde gehört.«
Sie wollte etwas sagen, doch ihre Stimme versagte. Sie nickte nur, presste die Lippen zusammen und blickte zum Himmel auf, während sie mit den Tränen kämpfte. Nach einer Weile fragte sie: »Wirst du Géroux zur Verantwortung ziehen?«
»Wie denn?«, erwiderte Michel. »Ich kann nicht beweisen, dass er hinter dem Anschlag steckt. Außerdem hat er das Schöffenkollegium auf seiner Seite, während ich nur ein mittelloser Kaufmann bin. Und eine Gilde, die mich unterstützen könnte, gibt es nicht mehr. Ich muss von vorn anfangen. Catherine hat mir Hilfe angeboten. Ich kann für sie als fattore arbeiten, bis ich genug Geld gespart habe, um ein neues Geschäft zu gründen.«
Sie lächelte. »Du gibst nie auf, was?«
»Nein. Niemals.«
Isabelle nahm seine Hand.
»Was wird nun aus uns?«, fragte Michel.
»Ich weiß es nicht.«
»Lass uns fortgehen.« Er lächelte schief. »Vielleicht schaffen wir es ja im dritten Anlauf. Sobald ich genug Geld habe, verlassen wir das Reich und suchen uns einen fernen Ort, an dem wir glücklich werden können.«
Sie schwieg lange. »Nein, Michel«, sagte sie.
»Wieso nicht?«
»Ich wurde einmal als Ehebrecherin verurteilt. Ein zweites Mal stehe ich das nicht durch.«
»Wir gehen weit weg, wo niemand je erfährt, dass du mit Thomasîn verheiratet bist.«
»Selbst in Mailand wären wir nicht sicher. Onkel Eberold und seine Brüder haben geschäftliche Verbindungen nach ganz Italien, sogar nach Spanien und Akkon. Irgendwann würden sie uns finden. Wir können uns nicht unser ganzes Leben lang verstecken.« Sie blickte ihn an, und zum ersten Mal sah er in ihren Augen all das Leid, das sie erfahren hatte. »Denk an Rémy. Wir dürfen nicht zulassen, dass er Entbehrungen und dauernde Ungewissheit erdulden muss, bloß weil wir alles unserem Glück unterordnen. Ich möchte, dass er in Frieden aufwachsen kann. Und hier kann er das.«
»Aber hier wächst er ohne seinen Vater auf.« Michel konnte seine Bitterkeit nicht verbergen.
»Ich sorge dafür, dass du ihn besuchen kannst, so oft du willst. Du hast mein Wort.«
»Das ist kaum dasselbe.«
»Bitte,
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