Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
zurück. Er verließ kaum noch das Bett und aß zu wenig, wodurch er immer schwächer und anfällig für Erkältungen wurde. Pater Jodocus besuchte ihn täglich, spendete ihm das Abendmahl und segnete ihn. Der Medicus verabreichte ihm immer neue Kräutertränke und ließ ihn mehrmals zur Ader, um die üblen Säfte aus seinem Körper zu leiten. Nichts davon half.
Wären Isabelles Briefe nicht gewesen, hätte ihn die Krankheit wohl in die Knie gezwungen. Ihre regelmäßigen Nachrichten jedoch gaben ihm die Kraft, gegen die Verzweiflung in seiner Seele anzukämpfen.
Sein Sohn sei gesund, schrieb sie Ende April. Er sei auf den Namen Rémy getauft worden, wie sein Großvater.
Im Mai: Rémy habe seine Augen, sein Lächeln. Und er wachse unglaublich schnell.
Im Juni: »Ich liebe Dich, Michel. Bitte komm, so schnell Du kannst.«
Er antwortete ihr, er werde sie besuchen, sobald es sein Zustand zulasse. Seine Briefe sandte er nach Speyer, zu einer Herberge am Holzmarkt, wo Isabelle sie abholte, wenn sie in die Stadt kam.
Noch etwas verhalf ihm zu neuem Lebensmut: Catherine Partenay hörte sich um und fand heraus, dass es tatsächlich neue Nachrichten vom Kreuzzug gab. Offenbar war Barbarossas Heer auf seinem Zug nach Kleinasien mehrmals angegriffen worden, genau wie de Guillory gesagt hatte. Was die hohen Verluste betraf, hatte der Ritter jedoch gelogen. Bisher schien kein Kreuzfahrer aus Varennes gefallen zu sein. »Es gibt also noch Hoffnung, dass Ihr Euren Bruder wiederseht«, sagte die Kauffrau eines Abends zu Michel.
All das bewirkte, dass er sich langsam, aber sicher erholte. Mitte Mai war er körperlich und seelisch so weit genesen, dass er endlich das Bett verlassen konnte. Da er von der schweren Krankheit sehr geschwächt war, musste er erst wieder zu Kräften kommen. Er machte lange Spaziergänge an der Mosel, allein oder mit seinen Freunden Catherine, Duval, Melville und Le Roux, und half in Catherines Geschäft, um seine Muskeln zu stärken – und um der Kauffrau etwas zurückzugeben, denn er wusste, wie tief er in ihrer Schuld stand.
Im Juni schließlich fühlte sich Michel endlich imstande, auf ein Pferd zu steigen und zu Isabelle zu reiten. Er lieh sich Catherines Wallach und brach eines Morgens nach Speyer auf.
Eine Woche später erreichte er die mächtige Bischofsstadt am Rhein. Dort war seine Reise jedoch nicht zu Ende. Isabelle wollte ihn nicht in Speyer treffen, aus Angst, ihre Familie könnte sie zusammen sehen. Also ritt er weiter in Richtung Norden, bis er zu einem Birkenwäldchen kam. Auf einer Anhöhe zügelte er den Wallach und schaute sich um. Es war eine schöne, friedliche Gegend. Zu seiner Rechten strömte der Rhein, gesäumt von Bäumen, grünen Viehweiden und Feldern, auf denen Bauern Heu einbrachten. Hier und da bildeten Steinhütten kleine Weiler. Flusskähne zogen gemächlich dahin, die Männer am Ruder winkten den Waschfrauen am Ufer zu.
Da drüben – war das Thomasîns Hof?
Michel strich dem Wallach über den Hals. »Komm, mein Guter. Es kann nicht mehr weit sein.«
Wenn du zu dem Birkenwäldchen kommst, hatte Isabelle ihm geschrieben, halte dich westlich, bis du die Überreste einer alten Hütte erblickst. In der Nähe entspringt ein Bach. Ich gehe jeden Tag zur Mittagsstunde zur Quelle und warte dort auf dich.
Kurz darauf fand er die Hütte, wenngleich die Mauerreste halb im Erdreich versunken und zwischen den hohen Farnen schwer zu entdecken waren. Er stieg aus dem Sattel und führte den Wallach am Zügel.
Isabelle saß auf einem moosbewachsenen Felsen und stillte Rémy. Sie hatte ihn noch nicht bemerkt. Er blieb stehen und musterte sie.
Sie trug einen schlichten Kittel und badete die nackten Füße im Quellwasser. Ihr Haar war wieder nachgewachsen und lugte wie vergoldetes Stroh unter ihrer Haube hervor.
Wie schön sie war.
Und das Kind in ihren Armen … Mein Sohn. Was für ein seltsamer, unerhörter Gedanke.
Das Kind gluckste. Isabelle hob den Kopf und entdeckte ihn. Sie bedeckte ihre Brust und stand langsam auf.
Michel band den Wallach an einem niedrigen Ast fest und trat zu ihr. Zwischen ihnen plätscherte der Bach über Wurzeln und abgeschliffene Kieselsteine.
»Michel.« Ihre Stimme klang anders als früher. Ein klein wenig tiefer, rauer.
Es war ein merkwürdiger Moment. Alles, was er sich zu sagen vorgenommen hatte, kam ihm plötzlich hohl und leer vor. Er räusperte sich und deutete linkisch auf das Kind. »Er ist wirklich ein Prachtkerl.«
»Rémy, mein
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