Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
sowie zahlreiche Fässer und Kisten. Das Salzschiff, das durch den strengen Frost zwischen dem Dreikönigstag und Lichtmess in Mitleidenschaft gezogen worden war, ließ er von einem Bootsbauer überholen. Glücklicherweise hegte Catherine wegen der Zurückweisung keinen Groll gegen ihn – im Gegenteil, sie unterstützte ihn, wo sie nur konnte. In den Gassen um den Hungerturm besaß sie ein Haus, das sie ihm zu einem Spottpreis überließ. Es war viel kleiner als sein altes Haus am Domplatz und nicht halb so komfortabel, doch immerhin war es aus Stein und verfügte über einen Stall für die Tiere und einen ausgemauerten Keller, in dem er Waren lagern konnte. Für seine Zwecke genügte es vollauf.
An einem sonnigen Samstagmorgen Ende März, nachdem sie fast anderthalb Jahre bei Catherine gewohnt hatten, zogen Louis und er mit Sack und Pack in ihr neues Heim.
In der darauffolgenden Woche besserte sich endlich das Wetter. Michel beschloss, nicht länger zu warten und endlich seine erste Handelsreise zu unternehmen. Er spannte den Ochsen vor den Wagen, fuhr zur Saline und kaufte sechs Fässer mit Salz, die er mit Louis’ Hilfe auf seinen Kahn lud. Der Knecht löste die Taue und winkte zum Abschied, Michel legte ab und ließ sich von der Mosel flussabwärts in Richtung Metz treiben.
Es tat gut, nach all den Monaten wieder in eigener Sache unterwegs zu sein. Gewiss, diese Reise war nicht der Rede wert, verglichen mit den glorreichen Fahrten nach Flandern und in die Champagne, die er früher unternommen hatte. Und doch – als er am Ruder des Salzschiffs stand und die grünen Hügel beobachtete, während der Wind sein Haar zerzauste, erschien auf seinem Gesicht ein Lächeln.
April 1191
V ARENNES -S AINT -J ACQUES
W enige Tage nach Michels Abreise trafen in Varennes-Saint-Jacques gleich zwei Fürsten ein. Der eine war Erzbischof Johann von Trier, der andere Simon Châtenois, der Zweite seines Namens, Herzog von Oberlothringen. Beide Männer waren mit einer beeindruckenden Eskorte aus Rittern, Fußknechten, Priestern und Rechtsgelehrten angereist. Ihre Gefolgschaften vereinigten sich nördlich von Varennes auf der alten Römerstraße und zogen unter den staunenden Blicken des Stadtvolks die Grande Rue hinauf, eine farbenprächtige Prozession aus gerüsteten Männern, herrlichen Schlachtrössern, blitzenden Lanzen und flatternden Bannern. Vor dem Bischofspalast bereiteten ihnen Archidiakon Guillaume, das Domkapitel und die Ministerialen einen prunkvollen Empfang.
Auf dem Markt, in Handwerksstuben, Kirchen und Tavernen brodelte die Gerüchteküche. Entschied sich heute die Zukunft Varennes’? Schon wenige Stunden später erhielten die besorgten Bürger die Antwort. Zur Mittagsstunde verkündete ein Herold auf dem Marktplatz, Johann habe sich entschlossen, Varennes abzustoßen und an Herzog Simon zu verpfänden. Nach langen Verhandlungen habe man sich geeinigt: Für die unvorstellbare Pfandsumme von neuntausend Pfund Silber werde die Stadt und ihr Umland in den Besitz des Hauses Châtenois übergehen und von nun an Teil des Herzogtums Oberlothringen sein.
Bei dieser Nachricht jubelten viele Bürger und Kaufleute. Endlich sei die Herrschaft der Kirche über Varennes zu Ende, riefen sie, den Menschen winkten Freiheit und Wohlstand! Doch manch einer mahnte zur Zurückhaltung: Gewiss, Herzog Simon stehe dem Königshaus nahe, das die Städte des Reiches stets mit Wohlwollen betrachte. Aber ob dies günstige Auswirkungen auf Varennes habe, bleibe abzuwarten. Nur ein Tor könne annehmen, Simon verfolge mit diesem Handel nicht zuallererst eigene Interessen.
So übten sich Bürger und Kaufleute in Geduld und warteten mit Spannung auf neue Nachrichten aus dem Bischofspalast.
Tagelang verhandelten Johann und Simon die Einzelheiten des Pfandgeschäfts. Lombardische Bankiers aus Metz, die den Herzog mit Krediten versorgten, gingen im Palast ein und aus. Legisten und Kanonisten, Rechtsgelehrte verschiedener Schulen, diskutierten bis tief in die Nacht bei Kerzenschein die Verträge und rangen um einzelne Absätze.
Die Ministerialen waren die Ersten, die die zahlreichen Veränderungen zu spüren bekamen. Erzbischof Johann entband sie von ihrem Treueeid, den sie einst Bischof Ulman geleistet hatten, und stellte sie vor die Wahl, entweder mit ihm nach Trier zu gehen oder aber alle Ländereien, Ämter und Privilegien in Varennes zu behalten und dafür Simon zu dienen. Sämtliche Ministerialen entschieden sich für Letzteres, und so
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