Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
zogen eines Morgens Jaufré Géroux, Tancrède Martel und all die anderen Männer des Schöffenkollegiums zum Bischofspalast, wo sie Simon die Treue schworen und gelobten, ihm fortan als herzogliche Ministerialen Gefolgschaft zu leisten.
Das Schöffenkollegium wurde nicht abgeschafft, wie viele erwartet hatten – es wurde sogar gestärkt. Da Simon die meiste Zeit des Jahres in Nancy weilte und nur selten nach Varennes würde kommen können, übertrug er dem zwölfköpfigen Gremium die Aufgabe, die Stadt in seinem Namen zu verwalten. Außerdem behielt es das Privileg, im Rahmen der Niederen Gerichtsbarkeit Recht zu sprechen und zu vollstrecken. Vogt und Herr über die Blutgerichtsbarkeit blieb jedoch Simon höchstselbst.
Die Diözese Varennes-Saint-Jacques hingegen wurde mit einem Federstrich aufgelöst, ihre Pfarreien wurden kirchenrechtlich dem Bistum Toul zugeschlagen. Folglich führte in geistigen Fragen von nun an der Bischof von Toul die Christen Varennes’. Eine irgendwie geartete weltliche Macht über die Stadt und ihre Bewohner erwuchs dem besagten Oberhirten daraus jedoch nicht – Simon achtete wachsam darauf, dass dergleichen nicht geschah.
Was die Stadtmauer betraf, verpflichtete sich der Herzog, den Bau fortzusetzen und zu Ende zu führen. Um den Einwohnern Varennes’ neue Belastungen zu ersparen, setzte Simon durch, dass Johann ihm jenes Silber zur Verfügung stellte, das Bischof Ulman kurz vor seinem Tod durch die Geldentwertung erworben hatte. So konnte Simon die Wehrmauer weiterbauen, ohne den Bürgern weitere Steuern aufzubürden.
Den größten Streitpunkt bei den Verhandlungen bildete die Saline. Zu Simons Leidwesen war die lukrative Salzgewinnungsanlage nicht Teil des Geschäfts. Falls er sie haben wolle, beharrte Johann, müsse er sie gesondert pfänden. Der Herzog warf ihm Hinterlist vor und ließ seine Juristen alte Verträge und Dokumente prüfen, doch am Ende musste er sich Johanns Willen beugen: Aus den verstaubten Aufzeichnungen ging eindeutig hervor, dass die Saline nicht zur Stadt, sondern zum Bistum gehörte. Somit hatte Johann alles Recht der Welt, sie zu behalten. In Varennes munkelte man, Simon sei deswegen so zornig gewesen, dass er dem Erzbischof beinahe die Fehde erklärt hätte. Zwar nahm er letztlich von kriegerischen Handlungen Abstand, doch die Verhandlungen wurden von nun an mit äußerster Härte geführt. Der Herzog machte ein Angebot für die Saline, das Johann rundweg ablehnte. Die Pfandsumme, die der Erzbischof im Gegenzug forderte, war mehr als doppelt so hoch. Schließlich einigten sich die beiden Fürsten darauf, dass die Saline im Besitz der Erzdiözese verblieb und Simon dafür tausend Pfund weniger für die Stadt bezahlen musste.
All das verkündete der Herold nach und nach, einmal täglich jeweils zur Mittagsstunde, den nervösen Bürgern. Als sich die Verhandlungen nach fünf Tagen dem Ende zuneigten, war nur noch eine Frage ungeklärt:
Was würde unter Simons Herrschaft mit der Kaufmannsgilde geschehen?
Am Morgen des sechsten Tages schickte der Herzog von Oberlothringen und neue Herr von Varennes-Saint-Jacques Boten zu den ehemaligen Mitgliedern der Gilde und bestellte sie in den Bischofspalast ein.
Charles Duval wartete mit seinen einstigen Schwurbrüdern in der Eingangshalle des Palastes. Außer ihm waren Catherine, Baffour, d’Alsace, Géroux, de Brette und die Gebrüder Nemours Simons Einladung gefolgt. Lediglich Melville und Le Roux fehlten. Die beiden hatten das schöne Wetter ausgenutzt und waren vor einer Woche mit voll beladenen Wagen und Saumtieren in die Champagne aufgebrochen.
Acht Kaufleute, dachte Duval, während er die anderen musterte. Elf, wenn man Melville, Le Roux und Fabre mitrechnet. Elf von fast zwanzig. Das war der klägliche Rest ihrer einst so stolzen Gilde. Der Anblick der geschrumpften Gruppe erinnerte ihn schmerzlich an die schrecklichen Ereignisse des vergangenen Jahres.
Es war das erste Mal seit über fünfzehn Monaten, dass sie zusammenkamen. Kaum jemand sprach; die Kaufleute hatten einander lediglich knapp und förmlich begrüßt. Der erbitterte Machtkampf um das Amt des Gildemeisters mit allen verheerenden Folgen war ihnen allen noch lebhaft im Gedächtnis, und unausgesprochen stand die Frage im Raum, wie man einander unter diesen Voraussetzungen Freundschaft und Treue schwören solle, falls sich der Herzog entschlösse, Johanns Verbot aufzuheben und eine neue Gilde zu genehmigen.
Aber das war beileibe nicht Duvals
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