Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
gerade erst gekommen.«
»Catherine braucht die Waren aus Worms. Ich kann sie nicht warten lassen.«
»Auf eine Stunde mehr kommt es doch nicht an.«
Michel band sein Pferd los. Isabelle stand auf.
»Großartig«, sagte sie. »Jetzt bist du böse auf mich.«
»Ich bin nicht böse auf dich. Es ist nur …« Er biss die Zähne zusammen und schaute sie an. »Ich weiß nicht, ob ich das noch lange ertrage.«
»Wir müssen eben Geduld haben.«
»Und dann? Es gibt doch keine Zukunft für uns.« Michel sah das Flackern in ihren Augen und bereute sogleich seine Worte. Sie zu verletzen war wahrlich das Letzte, was er wollte. »Es tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen sollen. Du hast recht. Wir müssen geduldig sein.« Er zwang sich zu einem Lächeln. »Du weißt ja – das war noch nie meine Stärke.«
»Schreibst du mir, wenn du zu Hause bist?«
»Natürlich. Und du lässt es mich wissen, wenn der kleine Mann neue Wörter gelernt hat.« Er trat zu ihr, und sie umarmten einander. Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
»Ich liebe dich«, flüsterte sie. »Vergiss das nie.«
Wenig später saß er im Sattel und ritt über die Felder, seine Kehle war eng, und noch viele Stunden später spürte er ihre Lippen auf seiner Haut.
Juli 1191
V ARENNES -S AINT -J ACQUES
A m feuchtesten Tag im feuchtesten Sommer seit vielen Jahren steuerte Michel seinen Ochsenwagen über die Moselbrücke und fluchte leise über den Nieselregen, der seit Tagen unablässig fiel. Zusammengekauert hockte er auf dem Wagenbock, die Zügel in den Händen, während Myriaden feiner Tröpfchen seinen Mantel durchweichten und auf die Salzfässer hinter ihm trafen. Die Mosel war beträchtlich angeschwollen und rauschte bedrohlich um die Pfeiler. Wenn sich das Wetter nicht bald besserte, drohte Varennes ein Hochwasser. Es wäre das erste im Sommer seit gut drei Jahrzehnten.
Er hatte die Brücke noch nicht zur Hälfte überquert, als sich vom anderen Ufer zwei Gestalten näherten, wie er in weite Kapuzenumhänge gehüllt und mit Spießen bewaffnet. De Guillorys Zöllner. Barsch hielten die Männer ihn an und erkundigten sich nach seiner Ladung. Er wies auf die Salzfässer, woraufhin sie den Wagen akribisch durchsuchten und schließlich den Brückenzoll berechneten. Michel überreichte ihnen die geforderten Sous und fuhr weiter, bevor sie noch auf die Idee kamen, ihn zu schikanieren. Obwohl de Guillory angekündigt hatte, ihm das Leben schwerzumachen, falls er wieder Handel trieb, hatten seine Leute ihn bisher in Ruhe gelassen – vermutlich, weil sich der Ritter seit Monaten in Bar aufhielt, wo er für Herzog Simon gegen dessen Erzrivalen Graf Thiébaut kämpfte.
Überraschenderweise hielt sich de Guillory an die Zollbeschränkung, die Kaiser Barbarossa ihm einst auferlegt hatte: Seine Zöllner nahmen niemals mehr als fünf von hundert Teilen auf alle Waren, die man über die Brücke transportierte. Noch, dachte Michel. Barbarossa war vor über einem Jahr gestorben, und der neue Kaiser, sein Sohn Heinrich, weilte ständig in Italien. Möglicherweise nahm de Guillory das bald zum Anlass, es mit vergangenen kaiserlichen Entscheidungen nicht mehr so genau zu nehmen, da er unter diesen Umständen kaum Heinrichs Zorn fürchten musste.
Das Salz auf der Wagenpritsche war für die Sankt-Johannes-Messe in Troyes bestimmt, zu der Catherine übermorgen aufbrechen wollte. Michel konnte nicht behaupten, dass er sich darauf freute. Bei Dauerregen versank die Champagne im Schlamm, und eine mehrtägige Fahrt über die aufgeweichten Wege wäre eine Qual für Mensch und Tier. Vielleicht konnte er Catherine dazu bringen, die Reise um eine oder zwei Wochen zu verschieben. Normalerweise hörte sie auf ihn, was die Planung ihrer Geschäfte anging.
Wenig später lenkte er den Wagen durch das Salztor. Zu seiner Verwunderung herrschte in der Stadt helle Aufregung. Menschen eilten die Grande Rue hinauf in Richtung Domplatz, sie lachten und jubelten und priesen den Herrn.
»Was ist denn da los?«, erkundigte er sich bei einem jungen Mädchen, das seinen Brüdern folgte.
»Unsere Kreuzfahrer! Sie sind zurück!«
Ohne nachzudenken, sprang Michel vom Wagenbock, ließ das Fuhrwerk samt Ladung mitten auf der Straße stehen und rannte los, als wären alle Dämonen der Hölle hinter ihm her.
Menschen drängten sich auf dem Domplatz, Hunderte, mindestens die halbe Stadt, so erschien es ihm. Die Massen wälzten sich trotz des Regens zwischen den Marktständen hindurch, ohne
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