Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
»Ein großartiger Scherz, Géroux, wirklich.«
»Es ist mein Ernst.«
Michel stemmte die Hände auf den Tisch und beugte sich nach vorne, bis sein Gesicht nur noch zwei Handbreit von dem Géroux’ entfernt war. »Wieso legen wir die Karten nicht auf den Tisch? Mein Lebenswandel kümmert Euch einen Dreck. Euch geht es nur um eines: Ihr wollt um jeden Preis verhindern, dass ich der Gilde beitrete. Und warum? Weil Ihr mich fürchtet. Weil ich Euch einmal besiegt habe und es wieder tun könnte. Das ist auch der Grund, warum Foulque mein Haus angezündet hat, nicht wahr? Eure Niederlage hat Euch so gequält, dass Ihr meinen Tod wolltet.«
»Das sind haltlose Unterstellungen«, sagte Géroux mit unbewegter Miene. »Wenn Ihr es noch einmal wagt, mich als Mörder zu bezeichnen, zeige ich Euch wegen Verleumdung an.«
»O nein, Ihr seid kein Mörder – immerhin lebe ich noch. Lediglich ein Brandstifter, Lügner und rachsüchtiger alter Bastard.«
»Raus«, sagte der Sklavenhändler.
»Ich gehe erst, wenn Ihr mein Aufnahmegesuch angenommen habt.«
»Ihr wisst, was Ihr dafür tun müsst.«
»Ich mache keine Pilgerfahrt nach Jerusalem, und wenn Ihr der Papst wärt.«
»Dann werdet Ihr auch nicht Mitglied der Gilde. So einfach ist das. Klagt vor dem Niedergericht, wenn Euch meine Entscheidung nicht passt.«
Dem Géroux praktischerweise angehörte. Unter diesen Umständen hatte Michel nicht den Hauch einer Chance, zu seinem Recht zu kommen, und das wusste der Münzmeister genau. Michel spuckte aus, machte auf dem Absatz kehrt und ging.
»De Fleury«, rief Géroux ihm nach. »Ihr kennt unsere Statuten: Handel nur für Gildemitglieder. Wenn ich Euch dabei erwische, dass Ihr trotzdem Geschäfte macht, sorge ich dafür, dass man Euch aus der Stadt jagt. Habt Ihr mich verstanden?«
April bis Juni 1191
V ARENNES -S AINT -J ACQUES UND V OGTEI A LTRIP
M ichel überlegte tagelang, was er nun tun sollte. Als Catherine von seiner misslichen Lage erfuhr, bot sie ihm an, wieder für sie als fattore zu arbeiten. Obwohl sie ihm mehr Lohn als früher in Aussicht stellte, wusste er nicht, ob es ratsam war, abermals in ihre Dienste zu treten. Immerhin hatte sie ihm zu verstehen gegeben, dass sie mehr als freundschaftliche Gefühle für ihn hegte. Konnten sie unter diesen Umständen zusammenarbeiten? Was, wenn Catherine insgeheim die Hoffnung hegte, er würde sich letztlich doch zu einer Ehe mit ihr entschließen? All das konnte nur zu Enttäuschung, Bitterkeit und Streit führen.
»Warum zögert Ihr?«, fragte die Kauffrau, als er sich Bedenkzeit erbat.
Michel beschloss, seine Zweifel in aller Offenheit anzusprechen – Ehrlichkeit war das Mindeste, was sie verdient hatte, nach allem, was sie für ihn getan hatte. »Ich fürchte, Ihr habt Erwartungen an mich, denen ich nicht gerecht werden kann.«
»Ihr habt Eure Wahl getroffen. Das respektiere ich. Es wird unsere Zusammenarbeit nicht behindern.«
»Ich werde Isabelle und meinen Sohn besuchen, so oft ich kann. Das wird unsere Freundschaft auf eine harte Probe stellen.«
»Ich bin die reichste und angesehenste Frau des Bistums. Das wäre ich kaum geworden, wenn ich nicht gelernt hätte, meine Gefühle der Vernunft unterzuordnen. Ihr seid einer der besten Kaufleute, die ich je getroffen habe. Alles, was ich will, ist, dass Ihr wieder für mich arbeitet.« Sie lächelte. »Aber das heißt nicht, dass ich Euch auf Knien anflehen werde.«
All das sagte sie derart gelassen und sachlich, dass Michel nicht anders konnte, als ihr zu glauben. Noch am selben Tag trat er wieder in ihre Dienste, denn die Vorteile dieses Arrangements überwogen bei Weitem die Nachteile: Sie zahlte ihm einen üppigen Lohn, obwohl sie allein alle Risiken ihrer Geschäfte trug, und als ihr fattore konnte er in begrenztem Umfang auf eigene Rechnung Handel treiben, ohne Mitglied der Gilde sein zu müssen.
Trotzdem wusste Michel, dass seine Tage in Varennes gezählt waren. Irgendwann würde er nach Metz gehen, wo niemand ihn daran hindern konnte, ein eigenes Geschäft zu eröffnen – wenn nicht in diesem Jahr, dann spätestens im nächsten. Alles, was er dafür brauchte, war Geld, denn die Handelsstadt im Norden war ein teures Pflaster: Häuser innerhalb der Wehrmauern kosteten Unsummen, und die Gilden verlangten enorme Beiträge. Sowie er hundertfünfzig Pfund gespart hatte, würde er sein Glück versuchen, obwohl er die Vorstellung verabscheute, seiner Heimat den Rücken zu kehren und seinen Feinden kampflos
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