Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Michel hängte die Decke und seinen Mantel zum Trocknen über einen Ast und machte ein Feuer, um seine klammen Glieder aufzuwärmen. Als es ihm endlich gelungen war, das feuchte Holz anzuzünden, sah er Isabelle über die Wiesen kommen.
»Entschuldige, dass ich dich so lange warten ließ«, sagte sie. »Als es regnete, wollte ich nicht aus dem Haus gehen. Rémy hatte erst letzten Monat einen Schnupfen. Ich will nicht, dass er sich schon wieder erkältet.«
»Das macht nichts. Geht es ihm besser?« Michel betrachtete seinen Sohn besorgt.
»Er war den ganzen Winter über krank. Aber jetzt scheint es endlich vorbei zu sein.« Sie nahm Rémy aus dem Tragetuch, und lachend lief der Junge auf ihn zu.
Michel staunte nicht schlecht, als er ihn auf den Arm nahm. Es war mehr als ein halbes Jahr her, dass er Rémy das letzte Mal gesehen hatte, und er war seitdem enorm gewachsen. Außerdem konnte er viele neue Wörter, wie er munter plappernd bewies. Er konnte sogar schon kurze Sätze bilden.
Isabelle breitete eine Decke aus, und sie setzten sich ans Feuer.
»Sieh mal, was ich für dich habe«, sagte Michel und nahm einen kleinen Holzritter aus seinem Beutel. »Den habe ich für dich gemacht.« Eigentlich hätte Rémy den Ritter schon zu Weihnachten bekommen sollen.
Mit großen Augen nahm ihm der Junge die Schnitzfigur aus der Hand, betrachtete sie eingehend und hatte wenig später alles um sich herum vergessen.
»Erzähl mir von Varennes«, sagte Isabelle. »Was gibt es Neues?«
»Dass de Guillory jetzt unser Stadtherr ist, hatte ich dir ja schon geschrieben.« Michel berichtete ihr von der schwierigen Lage in der Stadt und den Scherereien, die de Guillorys Brückenzöllner ihnen gemacht hatten. Seit sie einander begrüßt hatten, war er angespannt, und es war ein seltsames Gespräch, wie unter Fremden. Irgendwann fiel ihm nichts mehr ein, woraufhin sie schweigend nebeneinandersaßen.
Wir tun so, als wären wir eine normale Familie. Dabei glaubt das nicht einmal Rémy.
Isabelle begann, vom Leben auf dem Hof zu erzählen, von Altrip und ihren Besuchen in der Ortschaft, auch von Thomasîn. Michel stellte ein paar höfliche Fragen, doch sie schien zu spüren, dass er nicht über ihren Gemahl reden wollte, und so endete bald auch dieses Gespräch, indem sie schwiegen.
Eine Weile lang schauten sie Rémy beim Spielen mit seinem Ritter zu. Schließlich ging Michel zum Bach, schöpfte Wasser heraus und löschte das Feuer.
»Du gehst schon?«, fragte sie.
»Ich muss zurück zu Jean.«
»Wartet er in Speyer auf dich?«
»Ja.« Michel stopfte seine Decke und die restliche Wegzehrung in den Beutel und befestigte diesen am Sattel. Sein Pferd schnaubte, und er rieb ihm den Hals.
Derweil hatte Isabelle Rémy auf den Arm genommen. »Sag auf Wiedersehen zu Michel.«
»Wiedersehen«, sagte der Junge. Lächelnd strich Michel ihm über das Haar.
»Wann besuchst du uns das nächste Mal?«
»Ich versuche es im Sommer zu schaffen. Es hängt davon ab, wie sich die Geschäfte entwickeln. Und was de Guillory sich einfallen lässt, um uns das Leben schwerzumachen.«
»Lasst euch nicht unterkriegen«, sagte Isabelle. »Bis bald.« Sie küsste ihn auf die Wange.
Michels Herz klopfte bis zum Hals, als er die Zügel losband. Er wollte nicht gehen, aber bleiben wollte er auch nicht. Er wandte ihr den Rücken zu, legte die Hand auf den Sattelbogen und spürte, dass sie ihn anblickte.
Nein. Er ertrug das nicht länger. Er konnte nicht nach Hause reiten und warten und hoffen und auf Gott vertrauen, dass irgendein Wunder geschehen würde. Es würde kein Wunder geben, nicht für Isabelle, nicht für ihn, und erst recht nicht für sie beide.
Er drehte sich um. »Wem wollen wir eigentlich etwas vormachen, Isabelle? Wie oft wollen wir uns noch an diesem Bach treffen und auf bessere Zeiten warten? Gott wird uns keinen Weg zeigen. Er hat bereits entschieden. Du gehörst zu Thomasîn, ich nach Varennes. Es wird Zeit, dass wir uns damit abfinden.«
Es dauerte lange, bis sie antwortete. »Ich kann mich damit nicht abfinden. Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch. Mehr denn je. Aber manchmal ist Liebe eben nicht genug. Ich kann nicht mehr hoffen, dass wir vielleicht irgendwann einmal zusammen sein werden. Das geht über meine Kräfte. Was soll denn passieren?«, fügte er hinzu. »Wie alt ist Thomasîn jetzt? Achtundzwanzig? Dreißig? Er wird noch lange leben, so Gott will. Wollen wir darauf warten, dass er stirbt?«
Leichter Wind kam auf und
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