Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
spielte mit einer Haarsträhne, die unter ihrer Haube hervorlugte. »Du hörst dich an, als hättest du diese Entscheidung längst getroffen.«
»Ja, das habe ich.« Es war irgendwann im vergangenen Monat geschehen, nach seinem Streit mit Jean, wie ihm jetzt klar wurde. Er hatte es nur nicht wahrhaben wollen.
»Also sehen wir uns nie wieder?«
»Ich werde euch weiterhin besuchen, so oft ich kann. Ich werde für Rémy da sein. Ich möchte sehen, wie er aufwächst. Das bin ich ihm schuldig. Aber was uns angeht …«
»Ist es vorbei«, sagte Isabelle.
»Es ist besser so. Für uns beide.«
Ihre Stimme war leise, aber fest und klar. »Vielleicht hast du recht.« Dann: »Ja, du hast recht.«
Und damit war alles gesagt. Er stieg in den Sattel und schaute sie noch einmal an. Wie sie da an der Quelle stand, mit Rémy im Arm, erschien sie ihm schöner als je zuvor.
»Leb wohl, Isabelle. Pass auf dich auf.«
Er ritt los und trabte am Waldrand entlang, und als sich das Land vor ihm ausbreitete, gab er dem Hengst die Sporen und jagte über die Felder und Wiesen.
Isabelle setzte Rémy ab, stopfte die lose Haarsträhne unter ihre Haube und legte das Tragetuch an. Der Junge stand derweil da, in der Hand seinen Ritter, und blickte seinem Vater nach.
»Michel«, sagte er plötzlich.
Es war das erste Mal, dass er Michels Namen aussprach.
»Merk dir das für seinen nächsten Besuch«, murmelte Isabelle. »Er wird sich freuen, wenn er das hört. Komm, mein Großer.«
Sie steckte Rémy ins Tragetuch und schritt den Hang hinab, der zur Kuhweide hin abfiel. Sie konnte noch nicht nach Hause gehen und gegenüber Thomasîn und den Hausbedienten so tun, als wäre nichts geschehen. Sie machte einen langen Spaziergang, wanderte über die Hügel, zu den Fischteichen am anderen Ende von Thomasîns Besitz und wieder zurück. Ihr erschien es, als hätte der Regen das Land endgültig aus seinem Winterschlaf aufgeweckt. Überall roch es nach feuchter Erde, Wachstum, Leben, nach Frühling.
Isabelle verspürte keinen Schmerz, keine richtige Traurigkeit, es war mehr eine dumpfe Benommenheit, so als hinkten ihre Gefühle den Ereignissen einige Stunden hinterher. Heute Morgen war sie aufgestanden und hatte sich darauf gefreut, Michel zu sehen, obwohl eine leise Stimme in ihrem Herzen immerzu flüsterte: Das ist töricht. Du klammerst dich an eine Hoffnung, die sich niemals erfüllen wird. Sie hatte nicht auf diese Stimme gehört. Seit fast zwei Jahren schon ignorierte Isabelle sie beharrlich, und es gelang ihr jeden Tag ein bisschen besser.
Bis heute.
Michel hatte ihr vor Augen geführt, dass sie in einer Traumwelt lebte, in einem Fantasiegespinst, das nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte. Sie begriff, wie selbstsüchtig sie all die Monate gewesen war. Sie hatte Rémy, Thomasîn, eine Familie, und erwartete von Michel, dass er auf all das verzichtete und auf sie wartete. So ein Mensch wollte sie nicht sein.
Verzeih mir, Michel. Ich hoffe, du bist jetzt frei.
Als dieser Gedanke in ihr aufstieg, kamen plötzlich die Tränen. Sie strömten ihr über die Wangen, obwohl sie noch immer nichts als dumpfe Taubheit fühlte, es war eine bloße Reaktion ihres Körpers, über die sie keine Gewalt hatte. Sie setzte sich auf eine Mauer am Wegesrand, und als es vorüber war, trocknete sie sich das Gesicht.
»Wir sollten nach Hause gehen. Du wirst mir allmählich schwer.«
Außerdem begann es, dunkel zu werden, und Rémy quengelte bereits schläfrig. Sie nahm den schnellsten Weg zum Gehöft und betrat wenig später das Haupthaus, das von einem köstlichen Duft erfüllt war.
»Du kommst genau richtig«, rief Thomasîn, der in der Küche am Herdfeuer stand. »Ich habe uns Eintopf gemacht. Er müsste gleich fertig sein.« Er fragte nicht, wo sie gewesen war. Das fragte er nie. »Probier.« Er hielt ihr die Schöpfkelle hin.
Sie setzte Rémy ab und kostete von dem Eintopf aus Rüben, Erbsen und Speck. »Das ist gut.«
Ihr Sohn war schon wieder munter und zeigte Thomasîn stolz seine Holzfigur. »Mein Ritter.«
Ihr Gemahl streifte sie mit einem Blick. Es lag kein Vorwurf darin, nicht einmal eine Frage, er zeigte ihr nur, dass sie ihm nichts vormachen konnte und das auch nicht musste. Lächelnd fragte er den Jungen: »Hast du schon einen Namen für ihn? Wie wäre es mit Roland? Außerdem braucht er noch einen Knappen. Gleich morgen schnitze ich dir einen.«
Isabelle setzte sich auf einen Hocker und sah den beiden zu. Rémy und Thomasîn – sie
Weitere Kostenlose Bücher