Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
trat und seinen Becher nachfüllte.
»Für mich auch noch einen«, sagte Charles Duval und knallte einen abgegriffenen Hälbling auf den Tisch. Man merkte ihm nicht an, dass er bereits zwei Krüge getrunken hatte. Dieser Mann, obwohl schmächtig und blass, vertrug viel mehr als Jean.
»Jedenfalls ist das alles ein großer Mist«, fuhr Duval fort, nachdem er einen Schluck genommen hatte. »Die Erhöhung der Marktabgaben ist gewiss nur ein Vorgeschmack auf das, was uns noch bevorsteht. De Guillory wird unsere Stadt auspressen wie eine reife Orange, so viel ist sicher. Aber von der Gilde können wir nichts erwarten. Sie ist rückwärtsgewandter als vor fünf Jahren. Beim heiligen Jacques, wenn ich daran denke, was wir alles erreicht haben, als Euer Bruder Gildemeister war. Die Brücke. Unser Ansehen in der Stadt. Nichts mehr ist davon übrig. Nichts mehr.« Mit düsterer Miene nippte Duval an seinem Krug.
Jean hatte ihn am frühen Abend auf dem Markt getroffen, und sie hatten beschlossen, sich in einer Schenke an der Grande Rue den einen oder anderen Schluck zu genehmigen. Duval nutzte die Gelegenheit, sich bei Jean auszuweinen. Seit einer halben Stunde beklagte er sich über die Zustände in der Gilde und ihre hochfliegenden Träume von Freiheit und Gerechtigkeit, die allesamt zerplatzt waren.
Jean hörte ihm seit geraumer Zeit nur noch mit einem Ohr zu. Am Nachbartisch hatten Guibert de Brette und die Nemours-Brüder Platz genommen. Seit die Ministerialen Duval und ihn entdeckt hatten, schielten sie ständig zu ihnen herüber. De Brette schien auf Ärger aus zu sein. Er sprach immer lauter, damit Jean ja verstand, was er zu sagen hatte.
»Nun ja, sie ist eben ein Bauernmädchen«, meinte er gerade. »Den Stallgeruch wird sie nicht los. Bauer bleibt Bauer, da kann de Fleury ihr noch so viel Silberschmuck und byzantinische Seide schenken.«
Jean stand auf und trat an den Tisch der Ministerialen. »Redet Ihr über meine Frau?«
»Schon möglich.« De Brette nahm einen Schluck von seinem Wein. Jacques Nemours lächelte dünn, während sein Bruder Aimery, der Ängstlichere von beiden, so tat, als interessiere er sich plötzlich brennend für die Flaschen auf den Regalbrettern.
»Ich meine, ich habe das Wort ›Stallgeruch‹ gehört«, sagte Jean. »Aber gewiss irre ich mich. Ein Kaufmann würde so etwas nie über die Gemahlin eines Schwurbruders sagen, habe ich recht?«
»Ihr habt schon richtig verstanden.« De Brette blickte ihm geradewegs in die Augen. »Euer Weib ist eine Bäuerin und wird es immer bleiben. Niemand kann seine niedrige Herkunft abstreifen. Sie haftet einem an wie ein übler Gestank. Es ist wie damals bei Eurem Vater. Er hatte vielleicht ein Haus und Geld und Bücher, aber tief in seinem Innern war er immer noch ein Höriger, ein Leibeigener, bis zu seinem Tod …«
Jean packte de Brette, riss den Ministerialen auf die Füße und presste ihn gegen die Wand. »Nehmt das zurück.«
De Brette lachte nur, woraufhin Jean ihn herumwirbelte und ihm einen Faustschlag versetzte, der ihn zu Boden schleuderte. Obwohl ihm Blut aus der Nase troff, war Jeans Verlangen nach Vergeltung noch lange nicht gestillt. Er wollte sich auf ihn stürzen, doch Duval hielt ihn zurück.
»Nicht, Jean. Seid vernünftig. Bitte.«
De Brette griff sich an die Nase und betrachtete seine blutigen Finger. »Dafür werdet Ihr bezahlen, de Fleury, das schwöre ich.«
»Der tätliche Angriff auf einen Schwurbruder ist ein unerhörter Verstoß gegen unsere Statuten«, sagte Géroux zwei Tage später bei der Gildeversammlung. »Herr de Fleury hat Guibert Brudertreue geschworen und gelobt, ihn zu achten und stets freundschaftlich zu unterstützen. Stattdessen hat er ihn niedergeworfen, ihn geschlagen und vor der ganzen Stadt gedemütigt. Für solch eine Tat kann es nur eine Strafe geben: den sofortigen Ausschluss aus unserer Gemeinschaft.«
»Ja!«, rief Jacques Nemours, und Thibaut d’Alsace und Fromony Baffour nickten eifrig. De Brette starrte Jean von der anderen Seite des Tisches an und lächelte dünn. Das habt Ihr jetzt von Eurer Unbeherrschtheit, sprach sein Blick.
Jean schluckte seinen Zorn und stand auf. »Ja, ich habe einen Fehler gemacht. Ich hätte Guibert nicht schlagen dürfen. Aber ich habe mit dem Streit nicht angefangen. Er hat mein Weib und meinen Vater beleidigt.«
»Das ist gelogen!«, fuhr de Brette auf. »Ich saß nichts ahnend am Tisch und trank meinen Wein, als er plötzlich aufsprang und mich angriff,
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