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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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Geburt von nichts und niemandem an der wohlverdienten Ruhe hindern zu lassen.
    Kein Junge. Falls er deswegen enttäuscht gewesen war, so spülte eine Woge der Glückseligkeit alle derartigen Gefühle hinfort. Er war Vater, Vater einer Tochter. Ein törichtes Lächeln erschien auf seinem Gesicht und würde für die nächsten Stunden nicht mehr verschwinden.
    »Ich fürchte, aus Bruno und Raymond wird nun nichts«, sagte Adèle.
    »Nein«, sagte Jean.
    »Was hältst du von Azalaïs?«
    »Azalaïs«, wiederholte er. »Azalaïs. Ja. Ein guter Name. So soll sie heißen.«
    Das Mädchen öffnete die Augen und strahlte ihn an.

April bis Oktober 1193

    V ARENNES -S AINT -J ACQUES
    Z weihundertundzwei Menschen waren an der Roten Ruhr gestorben, als die Seuche endlich nachließ – fast jeder zwölfte. Der Tod hatte in jenen Wochen fette Ernte gehalten und gleichermaßen Arme wie Reiche, Hörige wie Freie dahingerafft. Friedhöfe, Grüfte und Beinhäuser quollen beinahe über.
    Mitte April kehrten Michel und sein Haushalt schließlich nach Varennes zurück. Nachdem man den letzten Toten zu Grabe getragen hatte, hielt bald wieder der Alltag Einzug in die Stadt. Den Menschen blieb nichts anderes übrig, als ihre Trauer um die Verstorbenen zu überwinden, wieder an die Arbeit zu gehen und die Saat auszubringen. Es galt, die verlorenen Wochen gutzumachen und die drohende Armut zu bekämpfen, damit es nicht zu einer Hungersnot kam.
    Die geschrumpfte Gilde benötigte einen neuen Meister. Man schickte einen Boten zu Simon Châtenois und fragte ihn, wie nun zu verfahren sei. Wünscht Ihr, den neuen Gildemeister zu ernennen?, erkundigten sich die Kaufleute in ihrem Brief.
    Nein, ließ der Herzog sie wissen, sie dürften ihren Meister in einer freien Wahl bestimmen. Er behalte sich jedoch das Recht vor, einzuschreiten, falls es wieder zu Chaos und endlosen Machtkämpfen käme.
    Ein Wahldurchgang genügte den Schwurbrüdern. Pierre Melville, der sich abermals für das Amt beworben hatte, konnte sich nicht gegen Guibert de Brette durchsetzen, der die Stimmen von Fromony Baffour, Thibaut d’Alsace und Jacques und Aimery Nemours bekam und mit äußerst knapper Mehrheit gewann.
    Schon nach wenigen Wochen zeigte sich, dass de Brette die Gilde genauso rückwärtsgewandt und autoritär zu führen gedachte wie sein verblichener Vorgänger Jaufré Géroux. Jegliche Neuerungen, die Jean und seine Freunde vorschlugen, schmetterte er ab. Zudem buckelte er vor de Guillory und tat alles, was dieser von ihm und der Gilde verlangte. Er war nicht einmal willens, de Guillory um die Senkung der Marktabgaben zu bitten, die dringend notwendig gewesen wäre, um die wirtschaftlichen Folgen der Seuche abzumildern.
    Dabei war der Ritter längst nicht mehr auf die Einnahmen aus den erhöhten Marktzöllen und Standgebühren angewiesen. Gut ein Viertel der Seuchenopfer vererbte seinen Nachkommen Land und andere Besitztümer, und jedes Mal zogen de Guillorys Steuereintreiber den Freiteil ein. Die Schatullen der Stadt platzten schier aus allen Nähten. War ein Bürger ohne Erben verstorben und hatte seinen Nachlass nicht der Kirche gestiftet, erhielt de Guillory gar das gesamte Hab und Gut des Toten. Die Bestandsaufnahme des Schöffenkollegiums aller an die Stadt gefallenen Besitztümer ergab, dass der Ritter auf einen Schlag drei Steinhäuser, ein Dutzend Parzellen und mehrere Pferde bekam – daneben Bargeld, massenhaft Schweine, Gänse, Hühner und Ochsen und zahlreiche kostbare Gegenstände wie Silberleuchter, Kruzifixe und Bücher. De Guillory war so reich wie nie zuvor.
    »Und das, obwohl er sich während der Seuche in seiner Burg verkrochen und kein einziges Mal in Varennes hat blicken lassen«, sagte Jean eines Abends zu Adèle. »Dieser Hund! Hoffentlich erstickt er an seinem Geld.«
    Doch dieser Wunsch wurde ihm nicht erfüllt – de Guillory erfreute sich bester Gesundheit. Michel und Jean hielten es daher für klüger, ihre Geschäfte weiterhin von Metz aus zu betreiben, um dem Ritter keine Gelegenheit zu bieten, ihnen zu schaden.
    Nach mehreren anstrengenden, aber einigermaßen ertragreichen Monaten wurde Michel plötzlich krank. Es war eine seltsame Ironie des Schicksals, dass er, der niemals auch nur einen Schnupfen bekam und die Rote Ruhr ohne die kleinsten Beschwerden überstanden hatte, von einer harmlosen Erkältung auf das Lager gestreckt wurde. Es geschah im September, als sie gerade von einer Reise nach Speyer zurückkamen. Bei Straßburg

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