Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
so belanglos. Keine Geheimnisse. Nichts, was auf eine dunkle Verbindung zu Aristide de Guillory hindeutete. Jean hatte daher beschlossen, seine Nachforschungen abzubrechen und morgen zu Nicolas de Bézenne zu reisen, der gewiss schon ungeduldig auf seine Waren wartete. Später würde er Michel von alldem berichten. Vielleicht hatte sein Bruder eine Idee, wie in dieser Sache weiter zu verfahren wäre. Falls sich das überhaupt lohnte.
Er blieb in der Fensternische sitzen und hing seinen Gedanken nach, bis der Wirt die Glocke schlug und die Sperrstunde ausrief. Jean steckte das Nazar ein, streifte den Mantel über und trat hinaus in die Nacht. Wenigstens hatte es aufgehört zu regnen. Auf der nahezu menschenleeren Grande Rue traf er den Nachtwächter, der ihn ermahnte, zügig nach Hause zu gehen. Jean beschleunigte seinen Gang und begann darüber nachzudenken, wie er Nicolas de Bézenne besänftigen könnte, falls er wegen der Verspätung verärgert wäre. Es wäre wohl am besten, er gewährte ihm einen Preisnachlass.
Zu seinem Verdruss war das Stadttor bereits geschlossen. Er bat die Wächter, ihn hinauszulassen, da er in der Herberge am Place de Vésigneul wohnte, doch die Männer zeigten sich unerbittlich. Nein, heute komme niemand mehr hinein oder hinaus – Gesetz sei Gesetz. Er solle sich eine andere Bleibe für die Nacht suchen.
Er entschied, zum Place de Chambre zurückzugehen, wo es mehrere einigermaßen komfortable Herbergen gab. Als er etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, überkam ihn plötzlich das ungute Gefühl, dass ihm jemand folgte. Er blieb stehen und beobachtete die dunkle Straße. Nichts. Kein huschender Schatten unter den ausladenden Dächern. Keine hallenden Schritte. Nur das entfernte Schreien zweier Katzen, die irgendwo in einem Hinterhof kämpften.
Mit der Hand auf dem Dolchknauf ging er weiter. Er war sicher, dass die jähe Ahnung von Bedrohung nicht seiner überreizten Fantasie entsprungen war. Normalerweise konnte er sich auf sein Gespür verlassen. Und Metz war wie jede Stadt bei Nacht ein riskantes Pflaster. Wenn man Pech hatte, konnte man in den finsteren Gassen auf alle möglichen Gefahren treffen, auf bissige Hunde, bewaffnete Strauchdiebe oder Betrunkene, die auf Ärger aus waren.
Er hörte ein Geräusch – ein Scharren. Blitzschnell fuhr er herum und zückte dabei seinen Dolch. Die Bewegung kam keinen Herzschlag zu früh, denn just in diesem Moment sprang eine Gestalt aus dem Schatten. Eine Klinge schoss nach vorne. Jean schaffte es gerade noch auszuweichen, doch die Messerspitze schrammte schmerzhaft über seinen Arm. Der Angreifer setzte sofort nach. Er war entschlossen, ihn zu töten.
Jean überließ sich den Reflexen, die er sich bei den Kämpfen gegen Seldschuken und serbische Räuber angeeignet hatte. Ohne nachzudenken, duckte er sich, warf sich zur Seite, blockte Stöße ab und ging zum Angriff über. Bereits nach wenigen Augenblicken wusste er, dass er es nicht mit einem Straßenräuber zu tun hatte, und schon gar nicht mit einem Betrunkenen. Dieser Mann war ein ausgebildeter Kämpfer, seine Attacken waren kraftvoll und präzise, seine Verteidigung nahezu lückenlos.
Jean gelang es, seinem Gegner einen Faustschlag zu versetzen und ihn zurückzuschleudern. Dabei verrutschte die Kapuze des Mannes.
»Ihr?«, keuchte Jean fassungslos.
»Ich hätte dich schon vor Jahren kaltmachen sollen«, sagte Aristide de Guillory. »Dich und deinen lästigen Bruder. Das hätte mir eine Menge Ärger erspart.«
De Guillory machte sich Jeans Verblüffung zunutze und griff mit neuer Wut an. Er ist mir auf die Schliche gekommen!, durchfuhr es Jean. Aber wie? Wie? Diese und hundert andere Fragen schossen ihm durch den Kopf, ehe er sich wieder ganz auf den Kampf konzentrierte. Es gelang ihm, einen Stoß gegen de Guillorys ungeschützte Brust zu führen, doch die Klinge glitt ab, ohne Schaden anzurichten. Unter dem Mantel trug der Ritter ein Kettenhemd.
Der misslungene Angriff hatte ihn um sein Gleichgewicht gebracht. Als er um Balance rang, spürte er plötzlich einen scharfen Stich in der Seite. Der Schmerz war so durchdringend, dass er keine Luft mehr bekam. Jean taumelte zurück und prallte gegen die Hauswand. Seine Hand begann krampfhaft zu zittern, und er ließ den Dolch fallen.
De Guillory trat vor und stieß ihm seine Klinge in den Bauch. Jean keuchte und sank zu Boden.
»Du hast wirklich gedacht, du könntest es mit mir aufnehmen, was?«, sagte de Guillory. »Du
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