Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
hob die Arme und drehte sich langsam, wie eine Tänzerin am Hof des Sultans.
»Wie sehe ich aus?«
»Einfach wunderbar. Eine Maßanfertigung könnte dir nicht besser passen.«
»Hab Dank, Michel. Ich werde ihn jeden Tag tragen.« Sie legte ihm die Hände auf die Wangen und gab ihm einen langen Kuss. »Und jetzt«, sagte sie leise, »wird es höchste Zeit, dass du ihn mir wieder ausziehst.«
Es war dieser Blick, dem er noch nie hatte widerstehen können. Er schloss die Tür und drehte den Schlüssel, und kurz darauf glitt nicht nur der Gürtel zu Boden, auch ihr Kleid und das Untergewand sanken raschelnd auf die Dielen.
Es war eine windige Nacht. Herbstböen heulten um das Haus und rüttelten an den Fensterverschlüssen, und man hörte kaum, wie in der Ferne die Klosterglocken läuteten.
Sybille lag auf dem Bauch und hatte die Augen geschlossen, während er ihr mit den Fingerkuppen über den Rücken strich. An ihren Armen stellten sich die Härchen auf, und die üppigen Locken kräuselten sich über ihre Wangen, den Nacken, die Schultern.
»Weißt du, wer vorigen Monat um meine Hand angehalten hat?«, fragte sie schläfrig. »Theoger von Saarburg.«
»Tatsächlich? Was hast du getan?«
»Ihn abgewiesen natürlich. Was denkst du denn?«
»Er ist immerhin ein angesehenes Mitglied der Gewürzhändlergilde. Er wäre eine gute Partie.«
»Er ist ein raffgieriges Scheusal. Und alt. Und ich muss würgen, wenn ich seinen Atem rieche.«
Michels Hand wanderte hinab zu ihren Pobacken unter der Wolldecke und wieder hinauf zu den Schulterblättern. »Wie hat er es aufgefasst?«
»Er hat mich für meinen Hochmut beschimpft. ›Das wirst du noch bereuen, du sündiges Luder!‹, hat er gekrächzt. Als er ging, hat er gedroht, sich bei meinem Bruder zu beschweren. Zum Abschied habe ich ihm ein Fläschchen Rosenöl in die Hand gedrückt.«
Er lachte leise. »Das war grausam, Sybille.«
»Solche Kerle verdienen es nicht besser.«
Theoger von Saarburg war gewiss der sechste oder siebte Mann, der bei Sybille sein Glück versuchte. Es war nicht nur ihre Schönheit, die sie so begehrenswert machte: Ihre Familie, die Aspremonts, gehörte zu den mächtigsten der Stadt, und eine Ehe mit ihr verhieß Reichtum und Einfluss in den Gilden, dem Domkapitel und dem Rat der Dreizehn. Doch Sybille dachte gar nicht daran, noch einmal zu heiraten. Seit ihr Gemahl, ein Salzhändler und Ratsherr, vor fünf Jahren bei einer Fehde gefallen war, genoss sie ihre Freiheit in vollen Zügen, ermöglicht durch das großzügige Wittum, das sie bei seinem Tod erhalten hatte. Michel und sie trafen sich seit gut anderthalb Jahren, seit sie sich bei einem Festbankett der Aspremonts kennengelernt hatten. Er würde nicht so weit gehen, ihr Verhältnis Liebe zu nennen. Wenngleich sie gelegentlich das Bett miteinander teilten, war es mehr eine gute Freundschaft. Wenn sie zusammen waren, lachten sie viel und vertrauten einander ihre Sorgen an. Er mochte sie sehr – und vielleicht war er sogar ein wenig in sie verliebt.
Sie legte den Kopf auf ihren Arm und schaute ihn an. »Hast du Rémy besucht, während du in Deutschland warst?«
»Wir sind über Trier gefahren. Es wäre ein zu großer Umweg gewesen. Ich besuche ihn nächste Woche, falls das Wetter hält.«
»Bring ihn mit. Ich möchte den Jungen endlich kennenlernen.«
Michel hatte schon oft darüber nachgedacht, seinen Sohn für eine Woche oder zwei zu sich zu holen. Isabelle wäre vermutlich sogar damit einverstanden gewesen, doch Michel wollte dem Jungen keine lange und gefahrvolle Reise zumuten; immerhin war er erst sieben. Davon abgesehen wusste man in seiner Gilde, dass er nie verheiratet gewesen war. Wohnte plötzlich ein Kind bei ihm, gäbe es gewiss Gerede. Auch das wollte er Rémy ersparen. »Vielleicht, wenn er älter ist. So lange bleibt er besser bei seiner Mutter.«
»Du hast mir nie verraten, wie Isabelle aussieht«, sagte Sybille. »Was für eine Frau sie ist.«
»Wieso möchtest du das wissen?«, fragte er lächelnd. Sybille war schrecklich neugierig, was seine Vergangenheit anging, besonders, was Isabelle betraf.
»Weil du nie, nie, nie über sie sprichst.« Bei jedem Nie tippte sie mit dem Finger gegen seine Brust. »Wieso machst du ein solches Geheimnis aus ihr? Ich dachte, was zwischen euch war, ist lange vorbei.«
»Das ist es auch. Und die Vergangenheit sollte man ruhen lassen.« Er musste gähnen. »Wir sollten jetzt schlafen. Es ist schon spät.«
»Schlafen? O nein, mein
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