Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Vermögen. Er hatte es sich leisten können, nachdem er in den Jahren zuvor einige höchst lukrative Handelsreisen nach Niederlothringen, Flandern und ins Herzogtum Schwaben unternommen hatte. Überhaupt gedieh sein Geschäft prächtig, seit es ihm endlich gelungen war, seine kaufmännischen Aktivitäten an den Rhein und ins Kernland des Reiches zu verlagern. Er war nun ein angesehenes Mitglied seiner Gilde und der städtischen Bürgerschaft von Metz.
Nach getaner Arbeit ließ er sich von einer Magd einen Becher Wein mit Minze bringen und setzte sich in seine Bibliothek. Sie war sein ganzer Stolz. Fünfzehn Bücher bewahrte er hier auf – Ausgaben der Bibel, Heiligengeschichten, alte Heldensagen, eines kostbarer als das andere. Die Schriften hatten ihn so manches Mal über die Einsamkeit hinweggetröstet, die er empfand, wenn er daran dachte, dass all seine Freunde und einstigen Weggefährten weit weg in Varennes lebten und er sie nur noch selten sah. Er öffnete einen mit herrlichen Miniaturen ausgestatteten Band und vertiefte sich in die Geschichte von Tristan und Isolde.
Er hatte kaum zwei Seiten gelesen, als Louis hereinkam. »Frau Aspremont ist da, Herr. Soll ich sie heraufbitten?«
»Natürlich.« Halb lächelnd, halb seufzend schlug Michel das Buch zu. Wenn Sybille erschien, bedeutete das stets das Ende eines geruhsamen Abends.
»Michel, ich muss mit dir schimpfen«, sagte Sybille Aspremont, als sie wenig später in die Bibliothek rauschte. »Schlimm genug, dass ich von meiner Magd hören muss, dass du zurück in der Stadt bist – und dann hast du nicht einmal den Anstand, mich zu besuchen. Derart herzlos auf meinen Gefühlen herumzutrampeln. Das bin ich nicht von dir gewohnt.«
Sie spielte die vorwurfsvolle Geliebte äußerst überzeugend. Wäre nicht das spöttische Blitzen in ihren grünen Augen gewesen, wäre er glatt darauf hereingefallen.
»Bitte entschuldige«, sagte er lächelnd. »Ich bin müde von der Reise. Gleich morgen hätte ich dich besucht.«
»Das will ich hoffen. Ich dachte schon, du hättest mich vergessen.«
»Kein Mann, der bei Verstand ist, kann dich vergessen, wenn er dich einmal gesehen hat.«
Sie küssten einander auf die Wangen.
»Schön, dass du wieder da bist«, sagte Sybille, und ihre Stimme klang nun herzlich und warm. »Du hast mir gefehlt.«
»Du mir auch.«
Wie immer sah sie betörend aus. Sie trug ein smaragdgrünes Kleid, es bildete einen scharfen Kontrast zu ihrem roten Haar, das ihr in wilden Locken auf die Schultern fiel. Sie war drei Jahre älter als er, fünfunddreißig, und obwohl sie drei Kinder zur Welt gebracht hatte, hatte sie die Figur einer Zweiundzwanzigjährigen. In der Stadt ging das Gerücht, ein jüdischer Kabbalist habe ihr zu ewiger Jugend verholfen – nur eine von vielen abenteuerlichen Geschichten, die sich die Messins über sie erzählten. Sybille gab sich keine Mühe, den Klatsch um ihre Person zu entkräften, im Gegenteil: Wenn ihr danach war, heizte sie das Gerede absichtlich an.
»Wie war die Reise?«, fragte sie, als sie sich in der Stube ans Feuer setzten. Sie nahm seinen Weinkelch und trank einen tiefen Schluck.
»Das Übliche. Löchrige Straßen, launisches Wetter, gierige Zöllner. Nicht der Rede wert.« Den Überfall verschwieg er ihr. Sybilles exaltierte Art täuschte darüber hinweg, dass sie ein empfindsames Wesen hatte. Sie hätte sich nur unnötig um ihn gesorgt.
»Erzähl mir von Lübeck. Ich hörte, es soll eine bemerkenswerte Stadt sein.«
»Es ist mächtig und reich, dabei ist es noch keine vierzig Jahre alt. Aber die Lübecker sind eben ein geschäftstüchtiges und fleißiges Völkchen. Ich hoffe nur, sie können sich gegen die Dänen behaupten.« Michel erzählte ihr von seinen Erlebnissen auf den dortigen Märkten, bis ihm etwas einfiel. »Fast hätte ich es vergessen. Ich habe dir etwas mitgebracht.«
»Ein Geschenk? Du weißt doch, dass du das nicht tun musst.«
»Ich mag es eben, dir eine Freude zu machen.«
Sie gingen nach nebenan in sein Schlafgemach, wo er eine Truhe öffnete. Er holte einen Gürtel heraus, ein prachtvolles Stück aus Flechtwerk, in das Bernsteinsplitter eingearbeitet waren. »Vom angesehensten Gürtelmacher Lübecks. Gefällt er dir?«
Sybilles Augen glitzerten wie zwei neugeborene Sterne. Sie liebte schöne Dinge. Ihr Haus am Seille-Ufer war voll davon. »Er ist wundervoll, Michel. Na los! Zieh ihn mir an.«
Er legte ihr den Gürtel um die Taille und schloss die Silberschnalle. Sie
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