Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
an. Das Grauen jedoch steckte Michel für den Rest des Tages in den Gliedern. Immer wieder sah er das Gesicht des Mönchs vor sich, von Todesqual verzerrt, als er dem Mann das Schwert in den Leib stieß.
Yves, der ein empfindsames Wesen hatte, das so gar nicht zu seiner hünenhaften Statur passte, spürte Michels inneren Kampf und verwickelte ihn in ein belangloses Gespräch über die Frauen Triers, die, so Yves’ Meinung, viel schöner waren als die Frauen von Metz, aber infolgedessen auch weniger sittsam. Das brachte Michel auf andere Gedanken, und als sie bei Einbruch der Dunkelheit eine Herberge erreichten, war er besserer Stimmung.
Das Gästehaus war beinahe voll belegt, und im Schankraum drängten sich Händler, Flößer, Köhler und Pilger an den klobigen Tischen. Unter den Gästen war auch ein fahrender Wundarzt, der sich für eine Handvoll Silberpfennige bereit erklärte, den Söldner zu behandeln. Michel überließ den Mann der Obhut des Medicus und stieg mit seinen Knechten hinauf ins Dachgeschoss, wo sie die drei letzten freien Schlaflager in Besitz nahmen. Zwei Mägde brachten ihnen heißes Wasser, und Michel wusch sich den Staub der Reise ab.
»Wir gehen noch auf einen Becher Wein nach unten«, sagte Yves, als Michel sein Wams anzog.
»Wartet, ich komme mit.« Nachdem er sich das Haar gebürstet und seine Mütze aufgesetzt hatte, schloss er sich den Knechten an.
Zwei jüdische Fernhändler erlaubten ihnen, sich zu ihnen zu setzen. Yves begann sogleich, mit ihrem Kampf gegen die Vogelfreien zu prahlen. Die Juden lächelten höflich, obwohl beide nur ein paar Brocken Französisch verstanden und der ausufernden Schilderung des Knechts unmöglich folgen konnten.
Michel lauschte unterdessen den Gesprächen an den Nachbartischen. In den Herbergen und Schenken des Heiligen Römischen Reiches gab es seit zwei Wochen nur ein Thema, so auch hier. Die Männer redeten über Kaiser Heinrichs jähen und unerwarteten Tod. Barbarossas Erbe war Ende September überraschend in Messina gestorben, mit nicht einmal dreiunddreißig Sommern, vermutlich an den Spätfolgen des Sumpffiebers, das er sich Jahre früher zugezogen hatte. Nun hatte das Reich keinen Herrscher mehr, und es war abzusehen, dass sich die Reichsfürsten nicht so bald auf einen neuen König würden einigen können. Denn Heinrichs Sohn Friedrich war gerade einmal drei Jahre alt – kaum älter als ein Säugling und viel zu jung, um die Krone zu tragen. Und die norddeutschen Fürsten hatten bereits angekündigt, diesmal keinen Staufer zu unterstützen, sondern bei der Königswahl einen eigenen Kandidaten aufzustellen.
Das verhieß Schlimmes für das Reich, politische Unsicherheit, eine lange Krise. Von Lübeck bis Italien, von Böhmen bis Lothringen ahnten die Menschen, dass ihnen schwere Zeiten bevorstanden, und überall vernahm man das Gebet: Bitte, Herr, lass es nicht zum Krieg kommen.
Nachdem sie ausgetrunken hatten, drängte Michel seine Knechte, früh schlafen zu gehen, denn er wollte morgen zeitig weiterziehen. Er teilte sich eines der Betten mit Yves und einem zweiten Knecht; der Rest der Männer nächtigte auf den Strohsäcken in der Ecke.
Michel war so erschöpft, dass er wenig später einschlief. Kaum waren ihm die Augen zugefallen, hörte er wieder das Klirren der Waffen und die Schreie der Verwundeten.
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A usnahmsweise einmal behielt Yves recht mit seiner Wettervorhersage, und es gab weder Schnee noch Sturmwind, bis sie vier Tage später in Metz ankamen. An der Gildehalle entließ Michel die Söldner aus seinen Diensten, honorierte ihren beherzten Einsatz mit einem Handgeld und versprach, für den Medicus aufzukommen, falls der Verwundete weitere Hilfe benötigte. Anschließend brachten die Knechte und er die Waren zu seinem Haus am Place de Chambre und verstauten sie im Eingangsraum, da Michel sie in den kommenden Tagen auf dem hiesigen Markt feilbieten wollte. Am frühen Abend dann nahm er das ersehnte Bad, legte ein frisches Gewand an und zog sich in seine Schreibstube zurück, um die Buchführung zu erledigen.
Er hatte das Haus voriges Jahr einem alten Tuchhändler abgekauft, der seinen Lebensabend im Kloster verbringen wollte. Es war um einiges größer als seine erste Unterkunft in Metz, bestand gänzlich aus Stein und bot genug Platz für ihn, seine vier Knechte, seine beiden Mägde, die Saumtiere und die Handelsgüter, die er aus dem ganzen Reich anlieferte. Natürlich kostete ein derart zentral gelegenes Anwesen ein
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