Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Euch.«
Als Michel schwieg, lächelte Melville verwirrt. »Wieso zögert Ihr? Ist es wegen de Guillory?«
»Wenn ich mich in Varennes niederlasse, wird er mich wieder behindern, wo er nur kann. Wie soll ich unter diesen Umständen mein Geschäft betreiben?«
»Die Gilde wird Euch vor ihm schützen.«
»Damals hat sie Jean und mich im Stich gelassen.«
»Weil Géroux Euch vernichten wollte. Aber Géroux ist tot, und seine stärksten Anhänger sind es auch. Die Gilde hat sich verändert – dass sie mich zum Meister gewählt hat, beweist das doch. Aimery Nemours ist der letzte Ministeriale unter den Schwurbrüdern. Die rückwärtsgewandten Kräfte sind in der Minderheit. In den letzten zwei Jahren haben wir neue Mitglieder bekommen. Junge Männer, die sich nach einer besseren Zukunft sehnen – die klug und aufgeschlossen sind. Diese Gilde wird nicht zulassen, dass de Guillory Euch schadet. Überlegt doch, was wir gemeinsam erreichen könnten«, fügte Melville hinzu.
Michel lehnte sich zurück. Tatsächlich wartete er seit langer Zeit auf eine Gelegenheit wie diese. Er hatte sich in Metz nie wirklich heimisch gefühlt, und er vermisste Varennes, vermisste es schmerzlich. Sein Traum hatte ihn all die Jahre nicht losgelassen. Es war seine Bestimmung, seine Heimatstadt in eine bessere Zukunft zu führen. Das wusste er seit jenem Spätsommer im Jahre siebenundachtzig, als seine Freunde und er beschlossen hatten, Bischof Ulman herauszufordern. Zum Teufel mit den Bedenken. Ich gehöre nach Varennes.
»Ihr habt mich überzeugt, Pierre«, sagte er. »Ich komme zurück. Gebt mir nur noch etwas Zeit, damit ich hier meine Geschäfte abschließen und meine Angelegenheiten regeln kann.«
Melville strahlte über das ganze Gesicht. »Ich kann Euch nicht sagen, wie sehr mich das freut. Charles und Isoré werden ganz aus dem Häuschen sein, wenn sie das erfahren.«
Sein alter Freund blieb zum Essen. Bis Mitternacht saßen sie zusammen, schwelgten in Erinnerungen und schmiedeten Pläne für die Zukunft. Als Melville schließlich ging, war Michel so aufgekratzt, dass er unmöglich würde schlafen können. Er stieg hinauf auf den Dachboden, trat an die Öffnung mit dem Lastkran und blickte über die Dächer nach Süden, dahin, wo Varennes lag.
Kalter Novemberwind wehte über das dunkle Land und die Zinnen der Wehrmauer, zerrte an seinem Gewand, pflügte durch sein Haar. Vier Jahre war er fort gewesen. Vier Jahre, die ihm wie ein halbes Leben erschienen waren.
Endlich kehrte er heim.
Über dem Moseltal, inmitten der Wolken, glühte eine Sternschnuppe auf und zog eine gleißende Spur über das Himmelszelt.
V OGTEI A LTRIP
D a sind wir schon.« Michel klopfte Artos sanft auf den Hals. »Gut gemacht, alter Freund. Für heute hast du es geschafft.«
Er stieg aus dem Sattel und band das Pferd an einen niedrigen Ast, damit es das Gras fressen konnte, das unter den Birken wuchs. Wegen des günstigen Wetters war er schneller vorangekommen als erwartet und zu früh bei der Quelle; Isabelle und Rémy würden erst in einigen Stunden auftauchen. Er vertrieb sich die Wartezeit, indem er Artos Sattel und Zaumzeug abnahm, ihn gründlich abrieb und striegelte. Anschließend setzte er sich in den Verschlag oberhalb der Quelle und aß von seiner Wegzehrung. Es war keine richtige Hütte, nur ein schräges Holzdach auf vier Stützen. Isabelle hatte es vor zwei Jahren gebaut, damit sie sich auch bei Regen hier draußen treffen konnten. Sie hatte nie erzählt, ob ihr Gemahl von dem Unterstand wusste, und Michel hatte nie gefragt.
Vermutlich weiß er es. Immerhin liegt das Birkenwäldchen an der Grenze seines Landes. Blieb die Frage, was Thomasîn sich bei dem Häuschen dachte. Hatte er von Isabelle eine Erklärung dafür verlangt? Seine Sache. Michel packte das restliche Brot und den Käse wieder ein.
Wenig später kamen Isabelle und Rémy über die Wiesen. Als der Junge ihn erblickte, ließ er die Hand seiner Mutter los und stürmte ihm entgegen. »Onkel Michel!«, schrie er.
Lachend nahm Michel ihn auf den Arm. »Heiliger Jacques, wie groß du schon wieder geworden bist. Zeig mal, was hast du denn da?«
»Ein Schwert«, verkündete Rémy stolz und wedelte mit der Holzwaffe. »Damit kann ich Sarazenen erschlagen.«
»Erschlage lieber Drachen und Lindwürmer, damit erweist du der Christenheit einen größeren Dienst.«
»Darf ich wieder auf Artos reiten? Bitte, Onkel Michel! Bitte sag ja!«
»Natürlich darfst du. Aber jetzt lass mich
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