Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
der Gilde, die ihn zweifellos dazu angestiftet hatte, mit Freuden zu Diensten gewesen war.
Was, bei allen Teufeln des Fegefeuers, mache ich jetzt?
Unter anderen Umständen wäre das Dekret nur ein Stück Pergament gewesen, ärgerlich zwar, aber ohne jede rechtliche Kraft. Die besondere Situation Varennes’ jedoch bewirkte, dass er es keinesfalls ignorieren konnte. Der Bischof von Toul besaß in Varennes nach wie vor die geistliche Gerichtsbarkeit, der auch er unterstand. Wenngleich ihm de Lorraine die überhöhten Marktabgaben nicht direkt verbieten konnte, so rückte ihn das Dekret doch in die Nähe von Geldverleihern, Falschmünzern und anderen Sündern und Ketzern. Das würde seinem Ansehen einen empfindlichen Schlag versetzen, seine grundherrliche Autorität schwächen – und der Gilde genau den Vorwand liefern, den sie brauchte, um gegen die Abgaben aufzubegehren.
Er umklammerte den Weinkelch und verfluchte de Lorraine, Ferry und die ganze Familie de Bitche in den tiefsten Kreis der Hölle.
Auf dem Domplatz jubelte das Stadtvolk dem Ausrufer zu.
Charles Duval war der Erste, der sich das Dekret des Bischofs zunutze machte. Als er aus Épinal zurückkam, wo er eine Wagenladung Eisenerz eingekauft hatte, wurde er am Salztor von den Wachen und einem städtischen Zöllner angehalten. Während der Mann anhand seiner Liste den Wert der Waren schätzte, stand Duval mit verschränkten Armen da und stierte ihn an. Seine Knechte und die beiden Gildensöldner bauten sich mit den Händen an den Waffen hinter ihm auf.
»Der Einfuhrzoll beträgt achtzehn Sous«, sagte der Zöllner.
»Das ist zu viel«, erwiderte Duval. »Ihr bekommt zwölf, und keinen Denier mehr.«
»Nach dem Gesetz sind es sechs von hundert Teilen, und bei einem Warenwert von …«
»Das Gesetz ist falsch. Vier von hundert Teilen ist der übliche Zoll. Alles, was darüber liegt, ist unchristlicher Raub.«
Der Zöllner knallte seine Liste auf den Tisch neben dem Stadttor, kam näher und bleckte seine schlechten Zähne. »Das ist Rebellion. Ich sollte Euch auf der Stelle verhaften lassen und die Ware beschlagnahmen!«
»Ihr solltet Euch lieber um Euer Seelenheil sorgen«, entgegnete Duval. »Habt Ihr nicht das Dekret des Bischofs gehört? Die überhöhten Marktabgaben verstoßen gegen die Gebote Gottes, und jeder, der de Guillory hilft, sie einzutreiben, versündigt sich. Wollt ihr deswegen zur Hölle fahren? Ist es das wert?«
Er hatte bewusst auch die Torwächter angesprochen. Wie der Zöllner waren sie einfache Männer, und die Erwähnung von Sünde und Hölle verunsicherte sie sichtlich.
Der Zöllner leckte sich die Lippen. »Dekret hin oder her, mein Herr hat mir nun einmal befohlen, sechs von hundert Teilen zu verlangen. Ich tue nur meine Arbeit.«
»Eine Arbeit, die Euch jeden Tag einen Schritt der Verdammnis näher bringt. Hier sind zwölf Sous. Nehmt sie und dankt mir dafür, dass ich Euch vor einer Sünde bewahrt habe.«
Duval kletterte auf den Wagenbock und trieb den Ochsen an. Dem Zöllner war anzusehen, dass seine Höllenfurcht mit seiner Angst vor de Guillory rang. Die Höllenfurcht siegte, und weder er noch die Torwächter hielten den Wagen auf.
Duval lächelte dünn, während er das Fuhrwerk zu seinem Haus am Domplatz lenkte.
Der Vorfall am Salztor verbreitete sich in Windeseile in Varennes, denn Duvals Knechte erzählten jedem von der Heldentat ihres Herrn. Bereits am Nachmittag wusste es die ganze Stadt, und es dauerte nicht lange, bis andere Duvals Beispiel folgten. Als Voclain, Sancere und Deforest Waren aus Metz und Troyes auf dem Markt verkauften, setzten sie durch, dass sie nur die alten Standgebühren zahlen mussten, die um ein Drittel niedriger waren als die derzeit gültigen. Das brachte ihnen die Bewunderung zahlreicher Kleinkrämer, Handwerker und Stadtbauern ein, die es ihnen in den folgenden Tagen gleichtaten. Ebenso viele Wirte: Als sie von den Ereignissen auf dem Marktplatz erfuhren, weigerten sie sich, die überhöhte accisa auf Wein und Bier zu entrichten, und wiesen die erbosten Steuereintreiber auf das bischöfliche Dekret hin.
De Guillory, sein Sarjant Berengar und das Schöffenkollegium waren machtlos dagegen. Sie befahlen ihren Bütteln, Zöllnern und Decimatoren, den Widerstand des Stadtvolks um jeden Preis zu brechen. Doch obwohl sie den Männern harte Strafen androhten, falls sie versagten, zeitigte die Maßnahme kaum Erfolg. Hier und da schafften es de Guillorys Handlanger, die Abgaben in voller
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