Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
freundlich.
»Isabelle.«
»Isabelle Caron? Die Schwester des Kaufmannes Caron?«
»Das war einmal mein Name.«
Der Bischof schritt weiter den Pfad entlang und lächelte wieder sein feines, hintergründiges Lächeln. »Verstehe.«
»Ihr wisst, was uns damals widerfahren ist?«, fragte Michel zögernd.
»›Widerfahren‹? Wenn ich mich recht erinnere, habt Ihr die Ehe gebrochen, in vollem Bewusstsein der Folgen. Schaut mich nicht so erschrocken an, Herr de Fleury. Der Vorfall hat damals im ganzen Bistum für Aufsehen gesorgt. Natürlich weiß ich davon.«
»Dann wisst Ihr auch, dass wir hart für unser Verbrechen bestraft wurden. Trotzdem gilt Isabelle in Varennes immer noch als ehrlos. Das ist nicht gerecht.«
»Nun, sie hat nie Buße für ihre Verfehlungen geleistet. Ihr Bruder ließ sie fortbringen, bevor sie die Gelegenheit bekam, der städtischen Gemeinschaft ihre Reue zu zeigen.«
»Kann sie sich von ihrer Schande reinwaschen, damit ich sie zur Frau nehmen kann?«
De Lorraine blieb stehen und begutachtete die zarten Knospen eines Rosenbuschs. »Darüber ließe sich sprechen.«
»Ich bin bereit, gut dafür zu zahlen, dass Ihr sie von ihrer Schuld freisprecht.«
»Ihr wisst, dass es nach Gottes Gesetz nur dem Manne gestattet ist, sich von seinen Verfehlungen freizukaufen. Das Weib muss Buße tun, um seine Seele zu reinigen.«
In Isabelles Augen blitzte der Zorn. Nicht, flüsterte Michel stumm, und sie zügelte sich. »Und wenn ich beweisen könnte, dass meine Sünde nur minderschwer ist?«, fragte sie.
»Du hast die Ehe gebrochen. Deine Schuld ist erwiesen, meine Tochter. Daran ist nicht zu rütteln.«
»Aber die Ehe wurde nie vollzogen. Hernance Chastain, mein Gemahl, war nicht zur körperlichen Vereinigung fähig.«
»Stimmt, ich erinnere mich. Das sagtest du damals auch vor Gericht, nicht wahr?«
»Bischof Ulman hat ihre Aussage nicht anerkannt«, sagte Michel. »Er hat nach einem Vorwand gesucht, uns – mich – zu vernichten. Deshalb ist sie nicht in das Urteil eingeflossen.«
»Aber es ist die Wahrheit?«, fragte der Bischof.
»Natürlich«, antwortete Isabelle.
»Schwöre es bei Gott und dem Heil deiner Seele.«
»Ich schwöre.« Sie verneigte sich vor ihm und küsste das silberne Kruzifix, das er an einer Kette um den Hals trug.
Bedächtig nickte de Lorraine. »Nun, das verringert die Schwere deines Verbrechens natürlich beträchtlich.«
»Gibt es überhaupt noch ein Verbrechen?«, fragte Michel.
»Die Ehe mag nicht vollzogen worden sein, aber das heißt nicht, dass sie keinerlei Rechtsgültigkeit besaß. Zwischen den Familien wurde ein wirksamer Vertrag geschlossen. Deshalb war Isabelle nach kirchlichem Gesetz wenigstens für kurze Zeit mit diesem Tuchhändler verheiratet.«
»Ich weiß – Bischof Ulman hat es sich nicht nehmen lassen, uns darauf hinzuweisen«, meinte Isabelle.
»Aber ihre Schuld wiegt nicht so schwer, als wenn die Ehe auch körperlich vollzogen worden wäre«, sagte Michel.
»Ich bin geneigt, das Gesetz in dieser Weise auszulegen«, entgegnete der Bischof.
»Welche Buße muss sie also tun, um ihre Schuld zu tilgen?«
De Lorraine versank in Schweigen. »Üblich wäre eine achtjährige Buße, während der du fasten und dich in keuscher Enthaltsamkeit üben musst. Da du mildernde Umstände geltend gemacht hast, genügt die Hälfte: vier Jahre keusche Buße bei täglichem Fasten und Gebet.«
»Vier Jahre?«, wiederholte Isabelle. »Ich muss vier weitere Jahre warten, bis ich wieder heiraten darf, und soll währenddessen leben wie eine Nonne?«
»Erinnere dich, vor wem du stehst, und mäßige dich, meine Tochter«, mahnte der Bischof.
»Das ist ungeheuerlich! Das nehme ich nicht hin!«
Auch Michel war aufgebracht. »Was Ihr da von uns verlangt, ist hart, Exzellenz.«
»Gewiss ist es hart. Es ist niemals leicht, Gottes Liebe zurückzugewinnen, wenn man sie durch Lasterhaftigkeit verwirkt hat.«
»Gibt es keinen anderen Weg?«
»Nein«, erwiderte Bischof Mathieu, der allmählich die Geduld verlor. »Entweder sie akzeptiert meine Entscheidung, oder sie bleibt bis an ihr Lebensende ehrlos. Vier Jahre Buße sind wahrlich kein zu hoher Preis für die Rückkehr in die Gemeinschaft der Christen.«
Isabelle hatte de Lorraine den Rücken zugewandt; sie stand mit verschränkten Armen da und sagte kein Wort mehr. Mühsam bezwang Michel seine Enttäuschung. »Wie genau soll sie die Buße verrichten? Genügt es, wenn sie allein in der Stadt lebt und regelmäßig mit
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