Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Die Vorsteherin besaß ein eigenes Haus, wo sie wohnte und die Geschäfte des Beginenhofs leitete. Isabelle betrat die Stube und knickste vor Frédégonde, die gerade am Tisch saß und Löschkalk auf einen Brief streute.
»Schwester Isabelle«, sagte sie lächelnd. »Bitte setz dich doch.«
»Störe ich?«
»Aber nein.« Die Magistra faltete das Pergament und tropfte Siegelwachs darauf. Sie seufzte, woraufhin sich ihr gewaltiger Busen hob und senkte. »Ich habe gerade Bischof Mathieu geschrieben und ihm für das neue Pferd gedankt, das er uns freundlicherweise geschenkt hat. Keine zehn Zeilen, aber sie haben mich fast zwei Stunden gekostet. Aus mir wird wohl keine Schriftgelehrte mehr. Hast du dich gut bei uns eingelebt? Die Schwestern vergöttern deinen Jungen ja geradezu.«
»Ja, das tun sie. Alle sind sehr freundlich zu uns.«
»Nun, ihr habt viel durchgemacht. Unsere Liebe ist das Mindeste, was wir euch geben können.«
»Ich möchte etwas ansprechen, das mir Sorge bereitet, Magistra.«
»Was bedrückt dich?«
»Ich weiß, ich bin noch neu in der Gemeinschaft, und vielleicht steht es mir nicht zu, so offen zu sprechen …«
»Keine Scheu. Du kannst mir alles sagen, Schwester«, ermutigte sie Frédégonde.
»Mir ist aufgefallen, dass wir jede Woche Geld verlieren. Was wir auf den Feldern anbauen und in den Werkstätten herstellen, wirft nicht genug ab, um unsere laufenden Kosten zu decken. Unsere Ausgaben für Futter, Kerzen und so weiter sind zu hoch. Ich fürchte, wenn wir nichts unternehmen, bleibt bald nichts mehr für die Bedürftigen, oder wir müssen Land verkaufen.« Als die Magistra schwieg, erklärte Isabelle: »Wie Ihr wisst, waren mein Vater und mein Bruder Kaufleute. In meiner Familie wurde von morgens bis abends nur über Geld und Geschäfte gesprochen. Deshalb weiß ich, worauf es beim Handel ankommt. Ich kann erkennen, ob ein Unternehmen gedeiht. Und unseres«, fügte sie zögernd hinzu, »gedeiht ganz und gar nicht.«
Sie kannte Frédégonde noch nicht lange genug, um einschätzen zu können, ob sie Kritik an ihrer Arbeit als Angriff auf ihre Person verstand. Würde sie zornig werden und Isabelle hinauswerfen? Immerhin war sie das Oberhaupt der Gemeinschaft, dem jede Schwester bedingungslosen Gehorsam schuldete.
Doch die Magistra schrie sie nicht an, sie seufzte nur, tiefer diesmal. »Ach, Isabelle, mein Kind, da sagst du etwas. Ja, du hast vollkommen recht. Die Geschäfte gehen schlecht, lange schon. Der Herr hat mich mit vielen Talenten gesegnet, aber nicht mit der Gabe, wie man rechnet, feilscht und Geld vermehrt. All diese Listen, Briefe und Urkunden, die ich jeden Tag lesen und schreiben muss, die endlosen Verhandlungen mit den Krämern und Marktaufsehern – es ist eine Qual für mich. Alles, was ich jemals tun wollte, ist, diese Frauen zu Gott zu führen und ihnen zu helfen, ihre Seelen zu läutern. Doch stattdessen sitze ich hier, brüte von früh bis spät über Pergamenten und zähle Silberstücke, als wäre ich eine Kauffrau wie Catherine Partenay, der Herr hab sie selig.«
»Ich könnte Euch helfen«, meinte Isabelle, bevor sie begriff, was sie da sagte.
»Du?«
»Wie ich bereits sagte, ich verstehe ein wenig von diesen Dingen. Ich kann lesen, schreiben und rechnen, kenne die Marktgesetze und habe meinem Bruder oft genug zugesehen, wie er sich mit Krämern und Zöllnern herumschlug. So schwer ist das nicht, wenn man weiß, worauf es ankommt. Ich könnte mich um die Bücher und die Geschäfte der Gemeinschaft kümmern, damit ihr mehr Zeit für unsere Schwestern, die Seelsorge und die Armenpflege habt.«
»Das möchtest du dir wirklich antun?«
»Es wäre mir eine Freude«, sagte Isabelle lächelnd.
Die Magistra strahlte über das ganze Gesicht, sie kam um den Tisch herum und drückte Isabelle an ihre wogende Brust. »Ich wusste es. Ich wusste es schon, als ich dich das erste Mal sah. Du bist eine Gabe des Himmels, mein Kind. Ein Geschenk Gottes.«
Und so begann Isabelles Aufstieg zur Kellermeisterin der Beginen von Varennes-Saint-Jacques.
Juni 1199
V ARENNES -S AINT -J ACQUES
H err Michel!«, rief Louis. »Herr Michel, Ihr müsst sofort kommen. René Albert wurde überfallen!«
Michel riss die Tür der Schreibstube auf und stürzte hinaus. Louis kam ihm auf der Treppe entgegen. »Was ist passiert?«
»Söldner haben ihm am Rhein aufgelauert, sagen die Knechte von Herrn Baffour.«
»Aber er lebt?«
»Ja.«
»Wo ist er jetzt?«
»Bei der Gildehalle.«
Als
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