Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Vermächtnis, weit mehr noch als das Haus und das Geld in den Truhen.
Ich werde mich meines Erbes würdig erweisen. Du hast mein Wort, Vater.
Das war keine leichte Aufgabe. Er war der älteste Sohn. Ihm oblag es nun, die Familie zu führen, ihr Ansehen zu mehren, ihren Wohlstand zu vergrößern. Michel trug die Verantwortung für Jean, bis sein Bruder mündig wurde; für die Frau, die er einmal heiraten, für die Kinder, die er zeugen würde.
Ich werde dir Ehre machen, so gut ich kann.
Die letzten Erdkrumen rieselten durch seine Finger. Michel stand auf und bekreuzigte sich, und sie gingen den dunklen Pfad unter den Birken zurück.
Bevor Michel in jener Nacht schlafen ging, zündete er in seiner Kammer eine Kerze an und las ein wenig in der Consolatio philosophiae . Während seiner Reise war ihm das Werk ein tröstlicher Begleiter gewesen. Boethius schrieb über Tod und Vergänglichkeit, und die klugen Gedanken des Philosophen hatten ihm geholfen, mit seiner Trauer fertigzuwerden. Seit Pater Jodocus ihn lesen gelehrt hatte, liebte er Bücher, denn er fand stets Trost und Zerstreuung darin. Die Familie besaß mehrere: Poesie, aber auch die vier Evangelien sowie Schriften über das Wirken der Heiligen. Sie lagen sicher verwahrt in einer Truhe in der Schreibstube seines Vaters – in seiner Schreibstube. Ein großer Schatz, den er um nichts in der Welt missen wollte.
Auch jetzt verfehlte das Buch seine Wirkung nicht. Boethius’ Gedichte linderten seinen Schmerz, seine aufgewühlten Gedanken kamen zur Ruhe. Er dankte Messere Agosti noch einmal für dieses kostbare Geschenk und fiel wenig später in tiefen Schlaf.
»Wann soll ich Pater Jodocus herbitten?«, fragte Jean am nächsten Tag in der Frühe, als sie in der Stube saßen und das Morgenbrot verzehrten.
»Frag ihn, ob er zur None kommen kann«, antwortete Michel. »Vorher muss ich mich um einige Dinge kümmern. Weißt du, ob Gaspard gerade in der Stadt ist?«
Jean nickte. »Ich habe ihn gestern gesehen.«
Michel konnte es kaum erwarten, seinen alten Freund wiederzusehen. Er rief nach Louis und bat ihn, Pergament und Schreibzeug zu bringen. Während er einen Bissen Brot kaute, schrieb er eine kurze Nachricht, streute Löschkalk auf die Tinte und faltete sie zusammen. »Bring das Gaspard Caron und bestelle ihm meine Grüße«, wies er den jungen Knecht an. »Ich möchte ihn heute Abend treffen, wenn er es einrichten kann.«
Stumm nickte Louis und eilte mit der Nachricht in der Hand davon.
Nach dem Morgenbrot verließ Michel das Haus und überquerte den Domplatz, auf dem gerade der Markt begann. Er trug sein bestes mailändisches Gewand, das Thérese für ihn ausgebürstet hatte. Gewiss hatte es sich bereits herumgesprochen, dass er zurückgekehrt war, und er wollte den Bürgern Varennes’ zeigen, dass er sein Erbe ernst nahm und das Familiengeschäft mit der gleichen Verlässlichkeit wie sein Vater führen würde. Auf einen Mantel hatte er jedoch verzichtet, denn obwohl die Klosterglocken gerade erst zur Terz geläutet hatten, war es bereits sehr warm.
Die Wechselstube am Nordtor war nicht einmal dreihundert Schritte entfernt; dennoch brauchte er für den Weg eine Stunde. Ständig wurde er von Leuten angesprochen, die ihn erkannten und in Varennes willkommen hießen. Sein Vater war ein beliebter Mann gewesen, und Bürger aller Stände, vom Handwerker bis zum Kaufmann, sprachen ihm ihre Anteilnahme aus.
Als er endlich zur Wechselstube kam, war es bereits so heiß, dass er sich wünschte, er hätte ein weniger kostbares und dafür dünneres Gewand angezogen. Rasch trat er in den Schatten des vorspringenden Daches, löste seine Geldkatze vom Gürtel und schüttete seine Barschaft auf das Querbrett der Ladenluke. Der Geldwechsler holte ein Rechenbrett und eine kleine Waage hervor und begann, die Münzen zu stapeln, geordnet nach Herkunft und Gewicht.
Fünfzehn Lira hatte Michel in Mailand gespart, fünfzehn Pfund Silber, leider ausschließlich italienische Denari und Soldi, mit denen er in Varennes nichts anfangen konnte. Er musste sie in einheimische Pfennig- und Schillingmünzen umtauschen, in Deniers und Sous, die in der Münze des Bischofs geprägt worden waren – das einzige gültige Zahlungsmittel in Varennes. Die saftigen Gebühren, die der Umtausch kostete, schlugen ihm gehörig auf die Stimmung. Halsabschneider, dachte er, als der Wechsler die Münzen in seiner Schatulle verschwinden ließ.
Missmutig hielt er einen Denier ins Sonnenlicht. Das
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