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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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Übelkeit. Mit zusammengebissenen Zähnen band er Abendrot los. Er erwog, de Guillory beim Bischof anzuzeigen – aber wann hatte es je etwas gebracht, einen Adligen zu verklagen? Er konnte ja nicht einmal beweisen, dass der Ritter ihm das Pferd gestohlen hatte. Nein, er war machtlos.
    Sie schwangen sich in den Sattel, Michel schlug Abendrot die Absätze in die Flanken und ritt beinahe einen Kriegsknecht über den Haufen, als sie durch das Tor jagten.
    Als sie eine halbe Stunde später in Varennes ankamen, war Michel immer noch so zornig, dass ihm das Blut in den Ohren rauschte. Vor ihrem Haus stiegen sie ab und führten den Wallach durch das breite Tor in den Hof, wo ihnen Adrien begegnete.
    »Der Schultheiß ist da«, sagte der Pferdeknecht. »Er erwartet euch oben im Saal.«
    »Der Schultheiß?«, wiederholte Michel. »Was will er von uns?«
    »Das hat er nicht gesagt.«
    Übellaunig stampfte Michel die Treppe hinauf, gefolgt von seinem Bruder. Besuch von der Obrigkeit war das Letzte, was er jetzt brauchte.
    Tancrède Martel, ein Ministeriale des Bischofs, saß am Tisch im Gesellschaftssaal, vor sich einen Becher Wein. Er war eine gänzlich unauffällige Erscheinung, trotz seines prächtigen Gewandes und der silbernen Amtskette: mittelgroß, grauhaarig, leicht untersetzt. Als Schultheiß saß er dem bischöflichen Niedergericht vor und sorgte in Varennes mit seinen Bütteln für Recht und Ordnung – eine Aufgabe, die er äußerst penibel erfüllte, nicht selten zum Schaden der Kaufleute, die er mit Vorliebe gängelte und behinderte. Wie immer blickte er mürrisch drein, als wäre der Aufenthalt in diesem Haus eine einzige Zumutung.
    Michel begrüßte ihn mit einem Nicken. »Was führt Euch zu uns, Herr Martel?«
    Der Schultheiß hielt sich nicht damit auf, ihnen seine Anteilnahme für den Tod ihres Vaters auszusprechen. »Ich habe erfahren, dass Ihr heimgekehrt seid, um Euer Erbe anzutreten«, antwortete er steif und erhob sich schwerfällig. »Wenn Ihr gestattet, schätze ich den Wert Eures Besitzes und die Höhe des Freiteils.«
    Es war wie immer: Ersuchte man die Obrigkeit um eine Gefälligkeit, konnte man warten, bis man schwarz wurde. Schuldete man ihr dagegen Geld, kam sie schneller als ein Schnupfen im November.
    »Ich bin erst gestern von Mailand zurückgekommen«, erwiderte Michel. »Ich habe noch keine Zeit gefunden zu entscheiden, wem der Freiteil zukommen soll.«
    »Das könnt Ihr immer noch entscheiden. Aber die Summe muss baldmöglichst festgesetzt werden, um die Erben vor der Versuchung zu bewahren, ihr Vermögen zu verprassen und unsere heilige Mutter Kirche um ihr Recht zu bringen. So will es das Gesetz, Herr de Fleury. Wenn Ihr mich also herumführen würdet, damit ich meine Pflicht tun kann.«
    »Es ist mir ein Vergnügen«, sagte Michel säuerlich.
    Der Schultheiß ließ sich das ganze Haus zeigen, vom Gewölbekeller bis zum Dachboden. Beim Gehen hinkte er leicht, denn er litt an den Folgen einer Verletzung, die er sich vor Jahren bei der Verhaftung eines Safranfälschers zugezogen hatte. Folglich kostete ihn der Rundgang einige Mühe, was nicht gerade dazu beitrug, ihn wohlwollender zu stimmen. Er bestand darauf, jeden Raum zu betreten, um sich zu vergewissern, dass man keinen Gegenstand von Wert vor ihm verbarg. Nichts entging seinem argwöhnischen Blick; er untersuchte sogar die Kisten und Körbe in der Vorratskammer. Den geschätzten Wert des Viehs, der eingelagerten Waren und der Hauseinrichtung vermerkte er mit verkniffener Miene auf einer Wachstafel.
    Zu guter Letzt betraten sie die Schreibstube, wo er Michel aufforderte, die Truhen zu öffnen. Nachdem er die kostbaren, ledergebundenen Bücher begutachtet hatte, wandte er sich der Schatulle mit den Silbermünzen zu.
    »Ist das Euer gesamtes Vermögen?«
    »Bis auf den letzten Denier.«
    »Wie viel ist es?«
    Michel holte die Aufzeichnungen seines Vaters hervor und studierte die Einträge. »Etwa sechzig Pfund Silber.«
    »Kann ich Eurem Wort trauen?«, fragte Martel.
    »Was erlaubt Ihr Euch? Ich bin ein Ehrenmann!«
    Der Schultheiß erwiderte nichts darauf, doch der Zug um seine Mundwinkel zeigte deutlicher als Worte seine Ansicht, dass der Kaufmann, der sich zu Recht Ehrenmann nannte, erst noch geboren werden musste. Geübt rechnete er die Zahlen auf seiner Liste zusammen. »Der Wert Eures Besitzes beläuft sich auf insgesamt dreihundertundzehn Pfund Silber. Der Freiteil beträgt ein Fünftel des Erbes. Somit erwartet das Bistum von

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