Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Gildenschwurbrüder, viele Leute aus der Stadt. Du weißt ja, wie beliebt Vater war. Er ruht jetzt in der Obhut des heiligen Jacques, wie er es immer wollte.«
Jean ergriff Michels Hand, und stumm spendeten sie einander Trost.
Schließlich wischte sich Michel die Tränen ab. »Wie … wie geht es unserer Schwester?«, brachte er hervor.
»Gut«, antwortete Jean lächelnd. »Bernier ist ein trefflicher Bursche. Klug, freundlich und angesehen in Épinal. Du hättest Vivienne bei der Hochzeit sehen sollen. Sie sah wunderschön aus in ihrem Kleid und hat von morgens bis abends gestrahlt. Bernier wird ihr ein guter Ehemann sein, da bin ich sicher. Vielleicht kannst du ihn bald kennenlernen. Sie werden uns gewiss besuchen, bevor der Herbst kommt. Bernier ist recht oft in Varennes.«
In seinem letzten Brief hatte Michels Vater ausführlich von der Hochzeit berichtet. Bernier war ein junger, wohlhabender Händler aus einer kleinen Stadt im Süden des Moseltals. Als er im vergangenen Jahr zu Martini bei einer seiner Handelsreisen in Varennes gewesen war, hatte er auf dem Markt Vivienne getroffen und sich augenblicklich in sie verliebt. Schon wenige Tage später hatte er bei ihrem Vater vorgesprochen und um ihre Hand angehalten. Anfangs hatte ihr Vater Zweifel gehabt, ob es klug war, Vivienne jetzt schon zu verheiraten – immerhin war sie erst fünfzehn. Bernier jedoch erwies sich als ausgesprochen gute Partie, und Vivienne war ganz vernarrt in ihn. Also arrangierte man während des Winters mehrere Treffen, damit sich die Familien kennenlernen konnten, und im Februar gab er schließlich seine Einwilligung. Vier Wochen später, als der Schnee geschmolzen war, fand die Hochzeit statt, und seitdem lebte Vivienne mit ihrem Mann in Épinal, wo Bernier Grund und Boden und ein Haus mit drei Bediensteten besaß.
Michel lächelte, als sein Bruder von dem rauschenden Hochzeitsfest erzählte. Er freute sich für Vivienne, dass sie einen Mann gefunden hatte, der sie liebte, denn das war immer ihr sehnlichster Wunsch gewesen. Und als wäre er dabei gewesen, sah er seinen Vater vor sich, wie er an der Tafel saß, mit den Gästen lachte und auf die Gesundheit des Brautpaares trank, die Augen leuchtend und die Brust vor Stolz geschwellt. Die Heirat seiner geliebten Tochter hatte ihn gewiss zum glücklichsten Mann Varennes’ gemacht. Und fünf Wochen später war er tot. Michel umklammerte den Weinkelch, als ihm der Schmerz abermals die Kehle zuschnürte.
»Was bin ich nur für ein Tölpel«, sagte Jean. »Ich rede und rede, dabei bist du gewiss todmüde. Ich sage Thérese, dass sie deine Kammer herrichten soll, damit du dich zurückziehen kannst.«
Michel wollte nicht allein sein – nicht jetzt. »Schauen wir uns lieber das Haus an. Es scheint sich ja einiges verändert zu haben.«
Wie die meisten Kaufmannshäuser verfügte auch ihres über einen großen Gesellschaftssaal, eine Küche und Unterkünfte für die Bediensteten im ersten Stock sowie Schlafkammern für die einzelnen Familienmitglieder und eine beheizbare Stube im zweiten. Die Waren wurden im Gewölbekeller und im Eingangsraum gelagert, manchmal auch im Dachboden, wenn der übrige Stauraum nicht ausreichte. Im Hof gab es neben dem Stall, dem Wagenschuppen und der Sickergrube zwei kleine Gehege mit Hühnern und Schweinen. Einen eigenen Brunnen besaß die Familie nicht, weswegen Matenda und Thérese stets zum öffentlichen Brunnen auf dem Domplatz gehen mussten.
Bei ihrem Rundgang stellte Michel fest, dass sich in der Tat manches verändert hatte, während er fort gewesen war. Im Stall zeigte Jean ihm drei neue Tiere, die ihr Vater angeschafft hatte: zwei junge Saumpferde und ein Reitpferd, einen Wallach namens Abendrot. Alle drei waren gesunde, kräftige Tiere und eine gute Ergänzung zu ihrem alten Zugochsen.
Das Haus selbst wirkte wesentlich heller und wohnlicher als früher, denn ihr Vater hatte zwei Kammern zusammenlegen und zusätzliche Fenster in die Wände brechen lassen; außerdem gab es mehrere neue Truhen, Wandteppiche und Kupferleuchter. Jean erzählte, ihr Vater habe in den vergangenen drei Jahren gutes Geld verdient, und wie immer habe er dafür gesorgt, dass sein geschäftlicher Erfolg zu allererst der Familie zugutekam.
»Kaum zu glauben, dass das alles jetzt uns gehört, nicht wahr?«, meinte Jean am Ende ihres Rundganges.
Michel nickte gedankenverloren. Da Vivienne bei ihrer Heirat eine Mitgift bekommen hatte und ihre Ansprüche damit abgegolten waren,
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