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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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wären ihr erspart geblieben.
    Sie wollte zu Michel laufen, wollte ihm die freudige Nachricht mitteilen, doch Rémy bat sie, seinem Vater nicht zu sagen, wo er war. Er hatte sein Glück gefunden. Wenn Michel von dem Brief erfuhr, würde er sofort losreiten und ihn nach Hause holen, und dann würde der sinnlose Streit, der das Leben ihrer Familie so lange vergiftet hatte, von vorne beginnen.
    Nein. Das durfte sie nicht tun.
    Bei mir ist dein Geheimnis sicher, dachte sie und las den Brief noch einmal.

Mai 1204

    V ARENNES -S AINT -J ACQUES
    D ie Straße war hier kaum mehr als eine Furche im Unkraut. Links erhob sich eine Böschung, auf der Dornenhecken, Hagebutten und Farne um die Vorherrschaft rangen; rechts erstreckten sich Äcker und Viehweiden. Irgendwo am Wegesrand verweste ein totes Tier, und der Wind stank wie der Atem eines Leprakranken.
    Berengars Blick fiel auf eine Gruppe alter Eichen. Eine gute Stelle. Die Bäume waren weithin zu sehen für alle, die westlich der Stadt auf den Feldern arbeiteten.
    »Bringt ihn dorthin«, befahl er und ritt von der Straße, während seine Kriegsknechte den Schmied über die Wiese zur größten Eiche zerrten. Der Kerl wehrte sich, doch er war seinen Männern nicht gewachsen.
    Ein Soldat warf den Strick über einen Ast; ein anderer holte das Fass vom Wagen und stellte es auf das Gras.
    »Gib mir das Geld«, sagte Berengar, und der Mann warf ihm die Börse zu, an der noch Erde klebte. Die Münzen darin klimperten, als der Sarjant sie auffing.
    Als der behelfsmäßige Galgen fertig war und man ihm die Hände fesselte, begann der Schmied zu schluchzen. »Gnade, Herr. Habt doch Erbarmen. Ich habe es für mein Weib getan. Und für meine alte Mutter. Sie hätten hungern müssen.«
    Berengar würdigte dieses Gezeter nicht mit einer Antwort. Es war immer dasselbe mit diesem Pack. Erst brachen sie das Gesetz und lachten sich ins Fäustchen, aber wenn man sie erwischte, fing das große Klagen an. Berengar erwischte sie immer. Er war wie ein Bluthund; er roch ihre Angst, ihr schlechtes Gewissen. Dieser Kerl hatte es ihm besonders einfach gemacht. Wollte vierzig Sous außerhalb der Stadt vergraben, damit die Steuereintreiber sie nicht fanden, und hatte nicht gesehen, dass er die ganze Zeit von einem Torwächter beobachtet wurde. Ein jämmerlicher Schwachkopf.
    »Rauf mit ihm«, sagte Berengar.
    Die Waffenknechte legten dem Schmied die Schlinge um den Hals und zwangen ihn, auf das Fass zu steigen. Anschließend zogen sie den Strick straff. Im Schritt des Mannes erschien ein dunkler Fleck.
    »Du hast Steuern gestohlen und wurdest auf frischer Tat ertappt. Für dieses Verbrechen an deinem Herrn gebührt dir der Tod durch den Strang.«
    »Nein«, ächzte der Schmied. »Nein …«
    Berengar gab dem Waffenknecht einen Wink, der Mann trat gegen das Fass, sodass es umkippte und der Schmied nach unten sackte. Er fiel nicht tief genug, dass sein Genick hätte brechen können. Der Schlinge zog sich fest um seinen Hals, er strampelte mit den Beinen, würgte, krächzte, seine Zunge stieß hervor und zuckte wie eine verendende Blindschleiche, sein Kopf wurde erst rot, dann violett, dann blau.
    Der Schmied hörte auf zu zappeln. Der Strick knarrte, als die Leiche langsam hin und her schwang. Urin tropfte zwischen den nackten Füßen ins Gras.
    »Das wird diesem Gesindel eine Lehre sein.« Berengar spuckte aus und gab seinem Schlachtross die Sporen.
    Im trügerischen Licht der Abenddämmerung, als sich die Schatten zwischen den Bäumen vertieften, erschienen vier Gestalten am Wegesrand, die Gesichter in Kapuzen verborgen. Sie blickten zur Leiche auf und bekreuzigten sich. Einer der Männer kletterte in den Ästen der Eiche empor, zog sein Messer und schnitt den Strick durch. Die anderen fingen den Gehenkten auf, legten ihn auf den Boden und hüllten ihn in ein Leichentuch. Sie trugen ihn zu einem zweirädrigen Karren, bedeckten ihn mit Strohbündeln und schoben ihn den Weg entlang zur Stadt. Die Wächter am Heutor warfen einen flüchtigen Blick auf das Stroh und winkten sie durch.
    Erst im Viertel der Schmiede, Schwertfeger und Sarwürker schlugen die Männer ihre Kapuzen zurück. Jean Caboche, Oberhaupt seiner Bruderschaft, schob den Karren zu seinem Haus und schaute sich verstohlen um, bevor er die Tür öffnete und seine Gefährten die Leiche hineintrugen. Adèle stand neben dem Herd, die Augen angstvoll geweitet.
    »Wir haben ihn«, sagte Jean und küsste sie.
    »Hat euch jemand gesehen?«
    »Nur

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