Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
ungelenken Angriff mit dem Schild ab, schwang das Schwert und zog es dem Mann durchs Gesicht. Schreiend fiel der Weber zu Boden, doch andere nahmen seine Stelle ein und bedrängten Berengar von allen Seiten. Er gab seinem Pferd die Sporen, sodass es sich aufbäumte, ritt einen jungen Burschen nieder und jagte zum Domplatz. Aus den Augenwinkeln sah er noch, wie sein Waffenknecht aus dem Sattel gezogen wurde und in der Masse aus Leibern verschwand.
Ich wusste es!, durchfuhr es den Sarjanten, während er mit eingezogenem Kopf über den Platz preschte. Jetzt geht es los. Jetzt geht es los!
»Der Vorfall in der Grande Rue war anscheinend nur der Anfang«, sagte Yves. »Auch an den Toren und auf dem Fischmarkt soll es Kämpfe gegeben haben. Heftige Kämpfe. Mit Toten und Verletzten.«
»Wer?«, fragte Michel.
»Schmiede. Bauern. Weber. Zimmerleute. Es sieht so aus, als würden fast alle Bruderschaften mitmachen.«
Michel presste sich die geballte Faust an die Lippen und spähte aus einem Doppelfenster des Gesellschaftssaales. In der Ferne erklangen Schreie. Drei Waffenknechte, die Lanzen mit beiden Händen gepackt, rannten, vom Domplatz kommend, die Straße hinauf.
»Hast du etwas vom Beginenhof gehört?«, fragte Isabelle.
»Leider nicht, Herrin«, antwortete der Knecht. »Bis zum Salztor bin ich nicht gegangen. Dort war’s mir zu brenzlig.«
Isabelle setzte sich. Sie war blass vor Sorge um ihre einstigen Schwestern, die nur eine dünne Mauer vor der Gewalt in den Straßen schützte.
»Verrammelt die Tür und das Hoftor«, befahl Michel Yves. »Keiner von uns verlässt das Haus.«
Als der Knecht aus dem Saal geeilt war, trat er wieder ans Fenster. Die Schreie waren verstummt, und plötzlich war es so still wie in einer Geisterstadt. Kein Hämmern der Handwerker. Kein Geschrei der Händler. Wie damals bei den Kämpfen zwischen Gaspard und Géroux, dachte er, und sein Magen zog sich krampfhaft zusammen.
Das war kein Aufstand mehr – das war Krieg. Er musste handeln. Und zwar schnell.
»Das ist die Gilde!« Aristide hämmerte mit der Faust auf den Tisch. »Ich habe es gewusst. Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass de Fleury diese Bande anführt.«
»Die Kaufleute haben damit nichts zu tun«, sagte Berengar. »Die Bruderschaften haben den Aufruhr angezettelt.«
»Welche?«
»Die Schmiede und die Stadtbauern. Aber inzwischen machen alle mit. Sogar die Schneider und Hutmacher.«
»Dann greif dir ihre Anführer. Knüpf sie auf dem Marktplatz auf, gottverdammt! Allen voran Caboche und Leblanc. Wenn sie baumeln, geben die anderen auf.«
»Wir suchen sie seit gestern. Sie sind verschwunden. Ihre Frauen und Familien auch.«
»Stellt die ganze Stadt auf den Kopf.«
»Ich glaube nicht, dass sie noch in Varennes sind. Wahrscheinlich verstecken sie sich im Wald.«
Aristide kratzte mit seinem Dolch über den Tisch, rammte die Klinge ins Holz und bewegte den Knauf langsam vor und zurück, während er nachdachte. Sein Kämmerer hatte bei den Lombarden von Metz ein Darlehen aufgenommen und das Silber zu Walram von Limburg geschickt, damit der Deutsche seine Söldner bezahlen konnte. Damit schuldete er den Lombarden jetzt an die hundert Pfund. Nächsten Monat wurden Zinsen fällig, fünfeinhalb Pfund. Die konnte er gerade noch aufbringen, aber danach wären seine Kassen leer bis auf den Grund. Doch Geld war nicht seine einzige Sorge und schon gar nicht seine größte. Wenn sich dieser Aufruhr in die Länge zog, würde Ferry ihn gewiss für seine Zwecke ausnutzen und bei Herzog Simon Stimmung gegen ihn machen, ihn als unfähigen Stadtherrn hinstellen und dergleichen, was unüberschaubare Folgen haben konnte. Er musste den Aufruhr so schnell wie möglich niederschlagen, damit sein Schwager gar nicht erst davon erfuhr.
»Wie viele Männer hast du in der Stadt?«, fragte er seinen Sarjanten.
»An die fünfzig, die Büttel eingerechnet.«
»Zu wenig. Lass zwanzig Kriegsknechte von der Burg kommen.«
»Dann wäre die Burg schutzlos. Davon rate ich ab. Wer weiß, was diesem Pack einfällt.«
»Dann nur zehn. Die anderen sollen Tag und Nacht die Tore geschlossen halten. Wenn dir die Männer nicht reichen, hol Hörige von den Feldern und drück ihnen Waffen in die Hand. Die Marktaufseher, Zöllner und Decimatoren unterstehen ab jetzt auch deinem Befehl. Wenn dir die Schöffen deswegen Schwierigkeiten machen, richte ihnen aus, sie sollen sich bei mir beschweren, wenn sie sich trauen. Ab jetzt wird jeder festgenommen, der
Weitere Kostenlose Bücher