Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Herzogtums Oberlothringen, eine halbe Wegstunde von der kleinen Stadt Bar-le-Duc entfernt, und gehörte zu den ausgedehnten Besitztümern des Grafen von Bar. Es war ein Bauerndorf wie jedes andere auch: Strohgedeckte Hütten gruppierten sich um einen Platz, auf dem Schweine und Hühner im Schmutz nach Futter suchten. Obwohl die hölzerne Kirche geradezu winzig war, überragte sie alle anderen Gebäude und zeichnete einen langen Schatten auf die Viehweide, als Michel, Isabelle und die Söldner am frühen Abend den Weg heraufritten. Zwei Hörige mit geschulterten Hacken kamen ihnen entgegen. Michel zügelte Artos und fragte sie nach Conon, dem Wollweber.
»Er wohnt da hinten, Herr. Seht Ihr die Hütte neben der Scheune? Dort.«
Als sie auf dem Dorfplatz abstiegen, zogen sie sämtliche Blicke auf sich. In dieses Nest schienen sich nicht oft Fremde zu verirren, gut gekleidete und schwer bewaffnete schon gar nicht. Michel bat die Söldner, bei den Pferden zu warten, während Isabelle und er zu der Hütte schritten.
Die Tür öffnete sich. Ins Freie trat ein junger Mann, der Aristide de Guillory derart ähnlich sah, dass Michel sich innerlich verkrampfte. Allerdings waren seine Gesichtszüge weicher, der Ausdruck in den Augen sanfter. Falls noch ein Beweis gefehlt hatte, dass Berengar die Wahrheit gesagt hatte: Hier stand er.
»Gislebert?«
»Wer seid Ihr?«
»Michel de Fleury aus Varennes-Saint-Jacques. Ist dein Großvater da – Conon?«
Gislebert musterte ihn und Isabelle argwöhnisch. »Was wollt Ihr von ihm?«
»Mit ihm reden.«
Der hochgewachsene Bursche zog den Kopf ein und betrat die Hütte. Die Tür ließ er offen, was Michel als Aufforderung verstand, ihm zu folgen.
Das Innere bestand im Wesentlichen aus einem einzigen Raum, der die Herdstelle, mehrere Schlaflager und einen Koben für zwei Schweine enthielt. Genau wie unsere Hütte in Fleury, dachte Michel. An einem Webstuhl saß ein alter Mann, der barfuß die Pedale betätigte.
»Hier sind Leute aus der Stadt, die dich sprechen wollen, Großvater«, sagte Gislebert.
Conon lugte argwöhnisch Richtung Tür. »Seid Ihr von der Gilde? Ich habe meine Schulden bezahlt. Hier gibt’s nicht mehr für Euch zu holen!«
»Dein Händel mit der Gilde interessiert mich nicht«, sagte Michel. »Komm her, damit wir reden können.«
Conon kam hinter dem Webstuhl hervor und verschränkte die Arme. Er war steinalt, zählte gewiss sechzig oder mehr Jahre. Sein Gesicht war eine zerklüftete Landschaft von tiefen Falten und geplatzten Äderchen, beherrscht von einer roten Säufernase. Michel hatte sich schon gefragt, was aus all dem Silber geworden war, das der Alte im Lauf der Jahre von de Guillory bekommen hatte. Die Antwort befand sich vermutlich in dem Weinkrug neben dem Webstuhl.
»Sagt dir der Name Jean de Fleury etwas?«, begann Michel.
»Nie gehört. Wer soll das sein?«
»Mein Bruder. Du hast vor elf Jahren mit ihm geredet. Kurz darauf wurde er in Metz ermordet.«
Conons Gesicht zeigte keine Regung. »Damit habe ich nichts zu tun. Ich habe noch nie jemandem ein Leid zugefügt.«
»Dein Freund Aristide de Guillory hat ihn erstochen.«
Nun erbleichte der Wollweber und wich einen Schritt zurück. »Ich hab keine Ahnung, wovon Ihr redet.«
»Spar dir deine Lügen. Berengar hat euer kleines Geheimnis ausgeplaudert. Ich weiß alles.«
Der Alte sank auf einen Schemel. »Lass uns allein«, bat er Gislebert, der zögerte. »Jetzt geh schon!«
»Er weiß nicht, wer sein Vater ist?«, fragte Michel, nachdem der Bursche die Hütte verlassen hatte.
»Was wollt Ihr von mir?«
»Dass du Berengars Geschichte bestätigst. Ich brauche Beweise.«
»Wofür?«
»Ich will die Wahrheit ans Licht bringen.«
»Das ist mehr als zwanzig Jahre her. Diese Geschichte interessiert doch keinen mehr.«
»Yolande de Bitche, ihr Vater und ihr Bruder Ferry werden das anders sehen.«
Conon sprang auf und warf dabei den Hocker um. »Ihr wollt damit zu den Herren von Bitche gehen?«
»Ja.«
»Das ist verrückt. Da mache ich nicht mit. Verlasst mein Haus, sofort!«
Michel packte Conon an den Armen und drückte ihn gegen die Hüttenwand. »Du hast meinen Bruder an de Guillory verraten. Deinetwegen musste er sterben.«
»Gislebert!«, rief der Alte.
Die Tür in der Rückwand flog auf, und Gislebert kam herein, in der Rechten ein Beil. »Was macht Ihr mit Großvater? Lasst ihn sofort los.«
Michel trat einen Schritt zurück. »Auf dem Dorfplatz warten vier schwer bewaffnete
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