Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
heulte die ganze Zeit.
Jedenfalls war de Guillory seinem Vater nicht gewachsen. Der Alte zwang ihn, sich von Velin loszusagen. Er drohte, ihn zu verstoßen, falls er sich weigerte. Aristide fügte sich – er wollte sein Erbe nicht verlieren. Sie beschlossen, die Ehe totzuschweigen und so zu tun, als hätten die beiden niemals geheiratet. Jeder in der Burg musste schwören, mit niemandem darüber zu sprechen. Aristide brachte Velin nach Metz zu ihrer Familie zurück. Conon bekam von nun an jeden Monat einen Batzen Silber als Preis für sein Schweigen. Der Pfaffe, der sie getraut hatte, auch. Ein paar Monate später heiratete Velin ihre Jugendliebe, einen Kerl namens Aëlred, ein Wollweber wie Conon. Er war einverstanden, Aristides Sohn Gislebert als seinen eigenen anzuerkennen. Der alte Renard gab ihm Geld und drohte, ihn und die ganze Familie umzubringen, wenn sie nicht dichthielten.«
»Wieso haben sie die Ehe nicht einfach annullieren lassen?«, fragte Michel. Das war es, was Männer des Hochadels üblicherweise taten, wenn sie unüberlegt eine Verbindung eingegangen waren, die sich später als hinderlich erwies.
»So ein Verfahren ist teuer, und der alte Renard konnte es sich nicht leisten. Er hatte Schulden bei der Kirche. Außerdem löst der Bischof eine Ehe nur auf, wenn es Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit gibt. Aristides Ehe aber war rechtskräftig vollzogen worden – Velins Schwangerschaft bewies das.«
»Ihr sagt, das war dreiundachtzig. Der alte Renard ist drei Jahre später gestorben. Warum hat de Guillory Velin nicht nach seinem Tod zu sich geholt, wenn er sie so geliebt hat?«
Wieder lächelte Berengar dünn. »De Guillory ist kein Mann, der lange um ein Mädchen trauert. Er hatte sie längst vergessen. Es gab andere Frauen. Schönere. Er tröstete sich mit ihnen und verschwendete keinen Gedanken mehr an Velin. Es war ihm gleichgültig, dass sein Sohn bei Wollwebern aufwuchs.«
»Wie hat mein Bruder von all dem erfahren?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht hat er mich gesehen, als ich in Metz war und Conon sein Geld gab. Jedenfalls hat er Conon eines Abends angesprochen und ihm Fragen gestellt. Conon bekam Angst und erzählte de Guillory davon.«
»Ich habe Conon gesucht. Er ist verschwunden.«
»De Guillory wusste, dass Ihr herumschnüffeln würdet. Er zwang Conon, Velin und die ganze Familie, Metz zu verlassen und in ein abgelegenes Dorf bei Bar-le-Duc zu ziehen. Es heißt Behonne. Dort findet Ihr sie.«
Michel hatte sich gegenüber dem Sarjanten auf eine Kiste gesetzt. Seine Hände zitterten, und er legte sie auf die Schenkel. Elf Jahre lang hatte er gedacht, sein Bruder wäre von Räubern niedergestochen worden, hätte bei einem sinnlosen Handgemenge in den Gassen von Metz sein Leben ausgehaucht. Ein Rest von Zweifel war jedoch geblieben und hatte nie aufgehört, ihn zu quälen. Kaum ein Monat, in dem er nicht von Jeans Tod träumte. Und jetzt, nach all den Jahren, kannte er endlich die Wahrheit: De Guillory war bereits seit einundzwanzig Jahren verheiratet. Damit war seine Ehe mit Yolande de Bitche nichtig. Er hatte das ganze Haus Châtenois getäuscht und die Tochter eines der mächtigsten Männer Oberlothringens zu einem Leben in Sünde verdammt, ohne dass sie etwas davon ahnte.
Wenn Yolandes Vater und ihr Bruder davon erfahren, werden sie ihn vernichten.
Deshalb, nur deshalb hatte Jean sterben müssen.
»Habe ich Euch zu viel versprochen?«, fragte Berengar.
Michel stand auf. Er konnte kaum noch atmen. Seine Augen brannten.
Jean Caboche kam zu ihm. »Was hat er gesagt?«
»Gebt ihm sein Pferd und lasst ihn gehen«, meinte Michel anstelle einer Antwort. »Er soll Euch sein Wort geben, dass er Oberlothringen verlässt und nie zurückkehrt.«
»Ich reite nach Burgund zu meinem Bruder«, sagte Berengar, der ebenfalls aufstand. »Ihr seht mich nie wieder.«
»Was ist denn nun de Guillorys großes Geheimnis?«, beharrte Caboche. »Ist es das wert, dass wir den Kerl laufen lassen?«
»Ja.« Als der Schmied ihn erwartungsvoll anblickte, fügte Michel hinzu: »Ich kann darüber noch nicht sprechen. Ich muss erst in Ruhe nachdenken. Bitte versteht das.«
»Ist es wahr, dass de Guillory Euren Bruder getötet hat?«
Michel nickte. »Aber sagt es nicht Adèle. Sie hat lange gebraucht, über Jeans Tod hinwegzukommen. Es würde nur alte Wunden aufreißen.«
Begon, das älteste Mitglied der Bruderschaft, trat zu ihnen. »Habe ich das richtig verstanden? Wir sollen diesen Bastard laufen
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