Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
noch?«
»Woher soll ich das wissen? Ich war seit zehn Jahren nicht in Metz.«
»Gut. Das finden wir schon heraus. Packt eure Sachen. Wir brechen auf.«
»Ihr wollt, dass wir mit Euch nach Metz gehen?«, fragte Conon.
»Zuerst nach Metz und dann nach Bitche.«
»Wir alle?«
»Ja. Und Pater Guy, wenn wir ihn finden.«
»Das könnt Ihr nicht von uns verlangen«, sagte Velin.
»Ihr kommt mit, oder ich behalte mein Geld«, erwiderte Michel.
»Scheiß auf das Geld«, sagte Conon. »Ich gehe nicht zu Ferry de Bitche und sage ihm, dass sein Schwiegersohn die ganze Familie belogen hat. Ich bin ein Wollweber, verdammt. Er wird mich in den Kerker werfen, wenn ich ihm mit so einer Geschichte komme.«
»Ich rede mit ihm. Ihr müsst nichts tun, als die Geschichte zu bestätigen.«
»Nein. Keine zehn Pferde bringen mich nach Bitche.«
Michel hätte es gerne vermieden, diese Leute zu bedrohen. Doch Conon ließ ihm keine andere Wahl. »Wenn du dich weigerst, erfährt de Guillory, dass du sein Geheimnis ausgeplaudert hast.«
»Michel«, murmelte Isabelle, doch er blieb hart.
Conon starrte ihn an. Dann stand er auf, holte sich noch etwas Wein und trank. »Ihr Kaufleute seid alle gleich. Bloß weil ihr reich seid, glaubt ihr, ihr könnt mit uns machen, was ihr wollt. Heilige Jungfrau Maria, womit habe ich das verdient …«
Eine Stunde später führte Michel den Wollweber und dessen Familie nach Metz.
M ETZ UND B ITCHE
P ater Guy lebte noch. Er war inzwischen ein alter Mann, schwerhörig, zahnlos und beinahe blind, und verbrachte seinen Lebensabend in einer kleinen Abtei außerhalb der Stadtmauern von Metz. Es fiel Michel nicht schwer, ihn zu finden. Der Geistliche, der Guys alter Pfarrei seit drei Jahren vorstand, war dem Pater freundschaftlich verbunden und arrangierte ein Treffen.
Guy erwartete sie im Innenhof des Klosters, wo er auf einer Bank saß und die Strahlen der Abendsonne und den Duft der blühenden Kräuter genoss. Trotz seines Alters arbeitete sein Gedächtnis einwandfrei, und er konnte sich gut daran erinnern, wie er Velin und Aristide de Guillory einst in aller Heimlichkeit den Ehesegen gespendet hatte. Anders als Conon war er auf Anhieb bereit, mit Michel nach Bitche zu gehen und die Geschichte zu bezeugen. Er sagte, er leide bis heute darunter, dass er von de Guillory Geld genommen und Velins Heirat mit Aëlred zugestimmt hatte, obwohl ihre Ehe mit dem Ritter niemals rechtskräftig aufgelöst worden war. Im Angesicht des nahen Todes wolle er sein Gewissen erleichtern und Michel helfen, die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Bitche lag in den Nordvogesen, gut fünfundzwanzig Wegstunden von Metz entfernt. Da Pater Guy für einen mehrtägigen Marsch zu gebrechlich war, ließ Michel seine Beziehungen zu den Kaufmannsgilden spielen und trieb einen Reisewagen für den betagten Geistlichen auf. Isabelle, die den Alten ins Herz geschlossen hatte, kümmerte sich um ihn, als sie in der glühenden Hitze auf der Römerstraße gen Osten zogen.
Gislebert sprach während der gesamten Reise kaum ein Wort. Die Enthüllungen um seine Herkunft machten ihm sichtlich zu schaffen. Eines Abends, als sie in einer Herberge eingekehrt waren, erschien er plötzlich im Schankraum.
»Erlaubt Ihr?«
Michel machte eine einladende Geste, und Gislebert setzte sich zu ihm an den Tisch.
»De Guillory – was ist er für ein Mann?«
»Frag deine Mutter.«
»Sie will nicht über ihn sprechen.«
Michel musterte den jungen Wollweber, der seinem leiblichen Vater so sehr ähnelte und doch ganz anders war. Warum ihm die Wahrheit vorenthalten? »Er ist grausam, verschlagen und machtgierig. Ein Mörder.«
»Großvater sagt, Ihr wollt ihn bloßstellen, weil er Eure Stadt unterdrückt.«
»Und weil er meinen Bruder getötet hat.«
Eine Frage brannte Gislebert auf den Lippen, und er rang eine Weile mit sich, bevor er schließlich murmelte: »Bin ich wie er?«
»Ich kenne dich erst ein paar Tage, aber du scheinst ein anständiger Kerl zu sein. Nein, du bist nicht wie de Guillory. Ganz und gar nicht.«
»Im Dorf sagen alle, ich komme nach meiner Mutter.«
»Das glaube ich auch.«
Gislebert schüttelte den Kopf. »Ich bin so wütend auf sie. Warum hat sie mir nicht eher die Wahrheit gesagt?«
»Ich nehme an, sie wollte dich schützen.«
»Wovor?«
»De Guillory hat euch wie Dreck behandelt. Hat deine Mutter mit dir allein gelassen und euch vergessen. Dieses Wissen wollte sie dir ersparen.«
»Damals, als wir bei Nacht und Nebel aus
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