Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Reisewagen. Als sie nichts fanden, das auf feindliche Absichten hindeutete, ließen sie die Gruppe passieren.
In der Vorburg stellten sie den Wagen ab und stiegen aus den Sätteln; Isabelle half Pater Guy beim Aussteigen.
Michel ärgerte sich über sich selbst. Er hätte sich denken können, dass Ferry in Nancy weilte, der herzoglichen Residenz. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als mit Ferry dem Jüngeren zu sprechen, denn noch eine Reise konnte er Pater Guy nicht zumuten. Zumal das Zeit kosten würde – Zeit, die seine Freunde zu Hause nicht hatten. Er beruhigte sich mit dem Gedanken, dass Ferry II. de Guillory nicht mochte. Er war nicht das Oberhaupt seiner Familie, aber er würde ihm gewiss zuhören.
Sie traten durch das Torhaus in die Kernburg, eine mächtige Anlage mit zinnenbewehrten Mauern, einem Bergfried und mehreren Wohngebäuden. Dutzende Menschen schufteten in der Hitze, trugen Wassereimer, schmiedeten Hufeisen oder buken Brot. Conon und seine Familie blickten sich staunend um, sichtlich eingeschüchtert von der Macht dieses Adelsgeschlechts. Michel fragte sich zum Kastellan durch, der ihnen erklärte, Ferry übe sich gerade im Bogenschießen. Der untersetzte Mann führte sie durch das Untergeschoss des Palas’ zu einer Pforte im Fels, die sich zu den Wiesen unterhalb des Bergfrieds öffnete.
»Bringt Euer Anliegen vor. Aber seid vorsichtig. Seine Laune ist nicht die beste.«
Ferry spannte gerade seinen Bogen. Der Pfeil verließ die Sehne und traf die Zielscheibe auf hundert Ellen mitten ins Schwarze. Seine Waffenknechte klopften mit den Lanzenschäften auf ihre Schilde.
Michel schritt über die Wiese, gefolgt von Conons Familie und Isabelle, die Pater Guy stützte. »Ich grüße Euch, in Christi Namen«, sprach er den Edelmann an. »Michel de Fleury, Gildemeister von Varennes-Saint-Jacques. Das sind mein Weib Isabelle, Pater Guy aus Metz und der Wollweber Conon und seine Familie. Gewährt Ihr uns einen Moment Eurer Zeit?«
»Ihr seht doch, dass ich beschäftigt bin.« Ferry legte einen neuen Pfeil ein. Rothaarig und breitschultrig war er, und muskulös wie ein Fünfundzwanzigjähriger, obwohl er einige Jahre älter als Michel sein musste. Narben zierten seine nackten Unterarme, Andenken an vergangene Schlachten. Mit diesem Mann, das stand fest, war nicht zu spaßen.
»Es geht um Euren Schwager Aristide de Guillory.«
Damit hatte er Ferrys Aufmerksamkeit. Der Adlige ließ den Bogen sinken und musterte ihn. Er hatte kluge Augen, die einen seltsamen Gegensatz zu seinem kriegerischen Äußeren bildeten. Augen, denen nichts entging. »Michel de Fleury … Seid Ihr nicht der Kaufmann, der damals Bischof Ulman herausgefordert hat?«
»Ich fürchte, dieser Ruf haftet mir bis heute an.«
»Gehen wir in den Schatten.« Ferry gab einem seiner Knechte den Bogen und führte Michel und seine Begleiter zu einem Tisch unter der Wehrmauer, auf dem eine kupferne Karaffe stand. »Wein?«
Michel nickte, und Ferry reichte ihm einen Becher.
»Ich höre, in Varennes gibt es Aufruhr. Ist es wahr, dass sich die Bruderschaften gegen de Guillory erhoben haben?«
»Nicht nur die Bruderschaften – die ganze Stadt. Wir wehren uns gegen die erdrückende Steuerlast und die Willkür, mit der er seine Ansprüche durchsetzt.«
»Seid Ihr deswegen hier? Damit ich Euch beistehe? Denn dann müsste ich Euch enttäuschen: Mein Schwager kann mit seinem Lehen tun und lassen, was er will, solange er nicht das Gesetz des Königs verletzt.« Der Edelmann trank.
»Ich möchte Euch bitten, ihn für seine Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen.«
»Was hat er denn angestellt?«
»Er hat meinen Bruder ermordet.«
Ferrys Augen verengten sich. »Seid Ihr sicher?«
»Ich habe Beweise.«
»Ich höre.«
»Es war vor elf Jahren, im Herbst dreiundneunzig«, begann Michel. »Mein Bruder Jean war in Metz, und …«
»Vor elf Jahren?«, fiel ihm Ferry ins Wort. »Was denkt Ihr Euch, de Fleury? Nach so langer Zeit dürfte es unmöglich sein, ihm seine Schuld nachzuweisen. Wieso seid Ihr nicht früher gekommen?«
»Weil ich erst jetzt davon erfahren habe.« Michel beschloss, es anders anzugehen. »De Guillory hat ein Geheimnis, das auch Euch betrifft. Jean kam ihm auf die Schliche. De Guillory hat ihn umgebracht, damit er ihn nicht bloßstellt.«
»Was ist das für ein Geheimnis?«, fragte Ferry gedehnt.
Michel wandte sich an Velin und bat sie vorzutreten. Sie verneigte sich scheu. »Das ist Velin, Conons Tochter. Aristide de
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