Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
als er seinen fünfzigsten Sommer bereits hinter sich gelassen hatte. Aristide war gerade einmal einundvierzig. Reiß dich zusammen und hör auf, deiner Jugend nachzuweinen. Davon kommt sie auch nicht zurück.
Er wünschte seinen Vater in den tiefsten Kreis der Hölle und blickte in die Runde. »Du bist der Nächste.« Während der Waffenknecht ein Panzerhemd über den Gambeson zog, ging Aristide zu den Kisten vor dem Stallgebäude der Vorburg. Er brauchte eine andere Waffe, eine, die seine außergewöhnliche Körperkraft besser zur Geltung brachte als ein Schwert. Seine Wahl fiel auf einen Morgenstern. Er schwang die Waffe und zeichnete mit Kette und Dornenkugel eine querliegende Acht in die Luft. Sie lag gut in der Hand. Damit würde er seinen Männern beweisen, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehörte.
Er ging zu den Kriegern zurück, die wieder einen Halbkreis gebildet hatten. Sein nächster Gegner griff nach Schwert und Schild. Normalerweise war es Berengars Aufgabe, mit ihnen an den Waffen zu üben, doch sein Sarjant war verschwunden, seit Wochen schon, und mit ihm sieben seiner Männer. In Varennes ging das Gerücht, sie hätten ihm die Treue aufgekündigt und das Weite gesucht. Gänzlich ausgeschlossen war das nicht, immerhin hatte die Geschichte mit den Beginen Berengar nicht wenig zu schaffen gemacht, und er hatte wohl auf seine alten Tage Gewissensbisse bekommen. Für wahrscheinlicher hielt Aristide es jedoch, dass die Bruderschaften sie umgebracht hatten, abgeschlachtet in den Gassen der Unterstadt, wo man sie das letzte Mal gesehen hatte. Leider gab es nicht die kleinste Spur. Er hatte ein Dutzend Leute eingesperrt und verhört, niemand wusste etwas. Und die Bruderschaft der Schmiede, die vermutlich hinter der Sache steckte, hatte sich über Nacht in Luft aufgelöst, war mit Mann und Maus in die Wälder geflohen. Nun, es spielte keine Rolle mehr. Diese erbärmliche Rebellion war so gut wie vorbei. Die Hörigen arbeiteten wieder, seit die Beginen sie nicht mehr mit Vorräten belieferten, und es war nur eine Frage der Zeit, bis sich auch in der Stadt der Hunger breitmachte. Zwar versuchten die Kaufleute, Getreide aus Épinal und Toul heranzuschaffen, doch er hatte bisher noch jeden ihrer Wagenzüge abgefangen und die Schmuggler ins Stadtgefängnis geworfen, wo sie ihrer Strafe harrten. Spätestens nächste Woche würde der Widerstand zusammenbrechen.
»Fangen wir an.« Aristide setzte seinen Helm auf und ließ die Kette des Morgensterns kreisen. »Wenn du mich schlägst, wirst du der neue Sarjant. Na, ist das ein Ansporn?«
Der Waffenknecht hob Schwert und Schild und stellte sich breitbeinig auf. Der Mann war ein erfahrener Krieger, einer seiner besten. Er würde ihm einen harten Kampf liefern, doch diesmal würde Aristide gewinnen.
»Aristide!«
Er blickte zur Seite. Sein Weib kam über den Hof stolziert und hatte ihr Gewand gehoben, damit der Saum nicht durch den Staub schleifte. Seit jenem denkwürdigen Tag, als er sie geschlagen hatte, hatte sie kein Wort mehr mit ihm gesprochen. Wie es schien, war es nun vorbei mit der himmlischen Ruhe.
»Wo ist mein Schmuck?«, fragte sie.
»Ich schätze, da, wo Ihr ihn gestern Nacht hingetan habt.«
»Die Schatulle in meinen Gemächern – sie ist leer. Alle meine Broschen, Ringe und Ketten sind weg.«
»Euer Mädchen wird sich daran bedient haben.«
»Magali würde sich niemals an meiner Habe vergreifen!«
»Da wäre ich mir nicht so sicher. Stille Wasser sind tief. Vielleicht schaut Ihr mal unter ihrem Bett nach. Falls sie ihn nicht längst versetzt hat.«
»Ihr habt ihn genommen!«, fauchte Yolande. »Ihr habt ihn mir gestohlen, um damit Eure Schulden bei den Lombarden zu begleichen.«
Tatsächlich hatte der Silbertand gerade einmal für die Zinsen gereicht. Aber wenigstens gaben die Geldverleiher nun wieder eine Weile lang Ruhe. »Ich kaufe Euch neuen.«
»Ihr gebt es also zu? Ihr seid ein schäbiger Dieb! Ein Schuft und ein Lump. Eine Schande für den lothringischen Adel. Ich schäme mich für Euch. Niemals hätte ich Euch heiraten dürfen!«
Da sagte sie ein wahres Wort. Dass er diese Furie zur Frau genommen hatte, war der größte Fehler seines Lebens. Die Männer machten betretene Gesichter, und er erwog, Yolande vor der ganzen Burg zu züchtigen, um dieser peinlichen Szene ein Ende zu setzen.
Just in diesem Moment ertönte vom Torhaus der Vorburg ein Ruf. »Herr! Da kommen Reiter.«
Aristide erwartete niemanden. War das womöglich
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