Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Tiefe. Im Gras lagen andere, verwundet, sterbend, tot.
Michel schluckte hart, stieg ab und führte Artos durch die kleine Zeltstadt. Hinter den Palisaden kauerten Armbrustschützen und beschossen die Verteidiger auf der Schildmauer. Bei den Katapulten entdeckte er Ferry, der die Kämpfe beobachtete. Er band Artos’ Zügel an einen Ast und schritt zu dem Edelmann.
»Herr de Fleury.« Ferry lächelte wölfisch. »Seid Ihr gekommen, um das Schauspiel zu genießen?«
»Wie geht es voran?«
»Unwahrscheinlich, dass wir heute durchbrechen. Aber wir zermürben ihn. Lange hält er das nicht durch.«
Ferry führte ihn in sein Zelt und zeigte ihm die Pläne der Burganlage, die seine Ingenieure angefertigt hatten. Seine Kriegsknechte, erklärte er, lagerten nicht nur vor der Vorburg, sondern auch auf einem flachen Hang im Südwesten, damit sich de Guillory nicht heimlich aus dem Staub machen oder Verstärkung heranschaffen konnte.
»Steht denn zu befürchten, dass jemand ihm hilft?«
»Kaum. De Guillory hatte noch nie viele Freunde, und jetzt hat er gar keine mehr. Zumal sich der lothringische Adel niemals gegen mich und meinen Vater stellen würde. Nein. Wenn nicht Satan persönlich heraufsteigt und ihm beisteht, ist er auf sich allein gestellt. Spätestens in einem Monat verrottet er in den Verliesen meiner Burg.«
Der Kampflärm war verstummt, und Michel und Ferry traten nach draußen. Die Kriegsknechte hatten den Angriff abgebrochen und zogen sich über die Wiese zurück.
Ferry gab den Belagerungsingenieuren einen Befehl. Die Bliden begannen wieder zu schießen.
Michel blieb einige Tage im Heerlager. Nachts schlief er auf einer kleinen Lichtung abseits der Zelte, wo er ein Feuer anzündete; tagsüber hielt er sich hinter den Palisaden auf und beobachtete den Fortgang der Belagerung.
Die Bliden schossen nahezu ununterbrochen. Die Felsbrocken zerschmetterten Dächer, Zinnen, Menschen. Anfangs hatte de Guillory zurückgeschossen, doch inzwischen schwieg sein Katapult. Offenbar hatten die Bliden es zerstört.
Ferry ließ immer wieder angreifen. Es schien ihn nicht zu kümmern, dass seine Kriegsknechte und Ritter jedes Mal zurückgeschlagen wurden und er innerhalb von vier Tagen über zwanzig Männer verlor. Für ihn zählte nur, dass auch de Guillory Verluste hinnehmen musste. Bald, erklärte er Michel, sei er nicht mehr imstande, die Mauern zu halten, und dann sei die Burg reif für den Sturm.
Doch de Guillory erwies sich als überaus zäh. Auch als er nur noch halb so viele Krieger wie zu Beginn der Kämpfe hatte, verteidigte er die Vorburg erbittert. Ferry, der nicht die Absicht hatte, ihn monatelang zu belagern, änderte kurzerhand seine Pläne. Er rief seine Ingenieure zu sich und befahl ihnen, die Schildmauer zu unterminieren.
Im Schutz der Nacht rückten seine Männer vor und errichteten am Fuß des Walls einen überdachten Verschlag, während die Verteidiger sie beschossen und mit Steinen bewarfen. Sie mussten hohe Verluste hinnehmen, doch als der Morgen graute, war das Gebilde aus Balken, Brettern und Tierhäuten fertig. Steinmetze und Kriegsknechte schlüpften hinein und begannen, einen Tunnel in das Mauerfundament zu treiben. Den ganzen Tag hörte Michel, wie sie klopften und hämmerten, emsig wie das Gefolge des Zwergenkönigs aus den alten Legenden.
Aristide duckte sich unter dem Türsturz hindurch und betrat das Stallgebäude. Die Abteile waren leer; sie hatten die Pferde in die Kernburg gebracht, wo sie besser geschützt waren. Einmal war der Stall bereits getroffen worden: Ein Felsbrocken hatte einen Teil des Daches und die linke Wand zerstört.
»Hier drüben, Herr«, sagte der Waffenknecht.
Aristide stieg über einen Haufen aus Schutt und ging zum hinteren Teil des Stalles, wo das Zaumzeug aufbewahrt wurde. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal länger als eine Stunde geschlafen hatte. Seine Augen brannten. Sein Rücken, seine Glieder schmerzten. Das Panzerhemd umschloss seinen Leib wie ein Sarg aus Stahl. Doch er durfte nicht aufgeben, keine Schwäche zeigen. Wenn er das täte, verlören seine Männer den Mut.
Der Waffenknecht kniete auf dem Lehmboden. »Man kann sie hören.«
Aristide zog seinen Helm aus, legte sich der Länge nach hin und presste das Ohr auf die Erde. Tatsächlich: Irgendwo schräg unter ihm pochte und knirschte es dumpf. Ferrys Steinmetze, die sich unermüdlich wie Maulwürfe in den Fels unter der äußeren Mauer gruben.
Schwerfällig stand er auf. Er
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