Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Dame geziemt.«
Isabelle rollte mit den Augen, verneigte sich vor ihm und sagte mit maßlos übertriebener Betonung: »Schön, Euch wiederzusehen, Herr de Fleury. «
Michel wurde klar, dass er sie anstarrte. Linkisch stand er auf, setzte Salome auf den Boden und räusperte sich. »Die Freude ist ganz meinerseits«, erwiderte er steif.
»Hat sie dich … Euch gekratzt?«, fragte Isabelle.
»Wer?«
»Na, Salome. Meine Katze«, fügte sie hinzu und deutete auf das Tier, als er immer noch nicht begriff.
»Oh! Nein, überhaupt nicht. Sie wollte nur gestreichelt werden, schätze ich.«
Isabelle nahm Salome auf den Arm. »Dann habt Ihr Glück gehabt. Sie kann ein richtiges Ungeheuer sein. Offenbar mag sie Euch.«
»Bring die Katze aus der Stube und setz dich zu uns«, forderte Gaspard sie auf.
»Ich kann nicht – ich muss die Tiere füttern. Noch einen schönen Abend«, sagte sie zu Michel und eilte zur Tür.
»Isabelle!«, rief ihre Mutter, doch da war sie bereits draußen und lief die Treppe hinab.
»Tut mir leid! Die Tiere gehen vor.«
»Bitte entschuldige«, sagte Gaspard peinlich berührt. »Sie ist unmöglich – noch genauso eigensinnig wie mit fünfzehn. Hoffentlich bessert sie sich eines Tages.«
Michel war noch ganz bekommen von der Begegnung. »Das macht doch nichts. Ich fand es … erfrischend.« Erfrischend? Was redete er da?
Er blieb noch etwa eine Stunde. Als er seine Müdigkeit nicht mehr verbergen konnte, verabschiedete er sich von Lutisse und Marie. Gaspard geleitete ihn zur Tür.
»Und, was sagst du zu Isabelle?«
»Sie ist wirklich eine Schönheit. Du kannst dich glücklich schätzen.«
»Sie gefällt dir also?«
»Wie darf ich diese Frage verstehen?«, erkundigte sich Michel und hob eine Augenbraue.
»Ach, ich rede nur so daher«, erwiderte Gaspard mit einem hintergründigen Lächeln, als er die Tür öffnete. »Vergiss das Treffen morgen Abend nicht.«
»Wann geht es los?«
»Zur Vesper. Und denk daran – zu niemandem ein Wort.«
In großen Handelsstädten wie Metz, Köln und Mailand gab es mehrere Gilden, in denen sich Kaufleute nach ihren bevorzugten Reisezielen und Handelswaren zusammentaten. Varennes-Saint-Jacques, das vergleichsweise klein war, hatte nur eine Gilde, sah man von den zahlreichen losen Bruderschaften verschiedener Handwerker und Pfarrgemeinden ab. Sie war ein durch Schwüre besiegelter Bund und diente dem Schutz der Mitglieder, der gegenseitigen Unterstützung bei Unglück und Armut, der Brudertreue und der gemeinsamen Pflege christlicher Traditionen. Jeder fahrende Kaufmann Varennes’ musste der Gilde beitreten – andernfalls durfte er keinen Handel treiben und wurde gezwungen, die Stadt zu verlassen, wenn er gegen das Verbot verstieß. Die Mitgliedschaft ging nicht vom Vater auf den Sohn über. Starb ein Kaufmann, musste sich sein Nachkomme in aller Form der Gilde anschließen und seinen Schwurbrüdern Treue geloben, bevor er das Geschäft weiterführen durfte.
So überraschte es Michel nicht, dass er am nächsten Morgen eine Nachricht von Jaufré Géroux bekam, in der ihn der Gildevorsteher aufforderte, sich umgehend der Schwurvereinigung der Kaufleute anzuschließen und – vor allem – die Aufnahmegebühr zu bezahlen.
In seinem besten Gewand machte er sich auf den Weg. Bis Géroux’ Haus war es nicht weit – es stand gleich neben der städtischen Münze. Das Anwesen konnte sich, was Komfort und Pracht anging, durchaus mit dem Palast des Bischofs messen. Sämtliche Außenwände bestanden aus Stein. Auf jedem Stockwerk gab es einen Kamin; Truhen aus Zedernholz, zahlreiche Silberleuchter und kostbare Wandteppiche in sämtlichen Kammern und Fluren bezeugten Géroux’ märchenhaften Reichtum.
Eine Magd empfing Michel und führte ihn zum Hof, wo sich die Wohnquartiere für die Leibeigenen des Ministerialen befanden.
»Herr de Fleury ist da«, meldete die junge Frau.
Michel konnte nicht verhehlen, dass er gehörigen Respekt vor Géroux empfand. Als Gildevorsteher, Münzmeister und Schöffe des Niedergerichts besaß er eine Macht, vor der halb Varennes zitterte; darüber hinaus war er dank seiner beeindruckenden Größe und der silbernen, wölfischen Mähne eine Ehrfurcht gebietende Erscheinung.
Géroux begutachtete zwei Sklaven, die in Ketten und Lumpen vor ihm standen. Es waren Sarazenen oder Seldschuken, Männer mit bronzefarbener Haut und schwarzem, verfilztem Haar. Offenbar waren sie gerade erst angekommen: Ihren ausgezehrten Gesichtern und
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