Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
wie ein Raubritter. Wenn ihm danach ist, lauert er uns mit seinen Männern auf und schikaniert uns nach Lust und Laune. Sogar Pilger bedroht er.«
»Mich hat er auch schon beehrt.« Michel berichtete von seinen unerfreulichen Begegnungen mit de Guillory und dem Schaden, den er dadurch erlitten hatte.
»Fast jeder Schwurbruder der Gilde kann dir eine ähnliche Geschichte erzählen«, meinte Gaspard.
»Warum unternimmt der Herzog nichts dagegen? Er ist de Guillorys Lehnsherr – er ist dafür verantwortlich, dass seine Vasallen das Recht achten.«
»De Guillory ist ihm ein treuer Gefolgsmann und steht ihm für jeden Kriegszug zur Verfügung. Deshalb lässt er ihm freie Hand. Nein, von Herzog Simon ist keine Hilfe zu erwarten. Leider ist das nicht alles«, fuhr Gaspard fort. »Bischof Ulman, der neue Stadtherr von Varennes, ist genauso schlimm – wenn nicht schlimmer. Um sich zu bereichern, entwertet er ständig das Geld.«
»Viermal in zwei Jahren, habe ich gehört.«
»Ist das nicht ungeheuerlich? Und zusätzlich zum Kirchenzehnt verlangt er auch noch Marktzölle.«
»Bischof Jean-Pierre hat auch welche erhoben«, wandte Michel ein. »Jeder Stadtherr tut das.«
»Aber nicht in diesem Ausmaß. Und da die Saline dem Bistum gehört, kann er uns überdies den Salzpreis diktieren. Zusammen mit de Guillorys Brückenzoll lähmt das allmählich den Salzhandel, der so wichtig für Varennes ist. Wie soll man unter solchen Umständen Geschäfte machen?«
»Geht die Gilde nicht dagegen vor?«
»Dieser schlaffe Haufen hat doch viel zu viel Angst vor Ulman. Und wenn sich die Schwurbrüder einmal aufraffen, ihm die Stirn zu bieten, behindern Géroux und die anderen Ministerialen sie nach Kräften.«
»Géroux ist immer noch Gildemeister?«
»Natürlich. Und er wird es bleiben, bis er irgendwann tot umfällt. Es wagt ja niemand, ihn herauszufordern.«
Jaufré Géroux war ein Ministeriale, ein Gefolgsmann des Bischofs. Das Bistum hatte ihn vor vielen Jahren zum Meister der städtischen Münze ernannt und ihm das Monopol auf den Handel mit Sklaven aus Outremer verliehen. Beides hatte ihn reich gemacht, reich und mächtig. Außer ihm gehörten der Gilde noch andere Ministerialen an, Robert Laval, Aimery und Jacques Nemours und Guibert de Brette, die sich als Kaufleute betätigten, wenn ihr Dienst für den Stadtherrn es erlaubte. Da das Bistum sie mit Lehen, Ämtern und einträglichen Privilegien an sich gebunden hatte – die Gebrüder Nemours beispielsweise beaufsichtigten den städtischen Zoll und verdienten sich an den Marktabgaben eine goldene Nase –, vertraten sie in der Gilde stets die Interessen der Kirche. Während der Amtszeit von Bischof Jean-Pierre hatte sich dies nur selten nachteilig auf die Arbeit der Gilde ausgewirkt, hatte sich Jean-Pierre doch im Großen und Ganzen aus den Angelegenheiten der Kaufleute herausgehalten. Ulman dagegen schien die offene Auseinandersetzung mit ihnen zu suchen. Nach allem, was Michel heute gehört und erlebt hatte, begann er sich zu fragen, ob der neue Bischof den Einfluss der Gilde absichtlich schmälern wollte.
»Was hat Ulman gegen uns? Begreift er nicht, dass Varennes auf den Handel angewiesen ist?«
»Er hasst die Gilde. Er betrachtet sie als Verschwörung gegen die Macht der Kirche und die althergebrachte Ordnung. Er duldet sie nur, weil wir beweisen können, dass sie einst von Kaiser Otto gegründet wurde. Andernfalls hätte er sie längst verboten.«
»Was ist er für ein Mann?«
»Er entstammt einem deutschen Adelsgeschlecht und war vorher Abt eines Klosters bei Thionville. Er gilt als treuer Anhänger des Erzbischofs und entschiedener Gegner neuer Gedanken.«
Michel ließ den Wein in seinem Becher kreisen. Er wünschte, sein Vater hätte ihm geschrieben, wie es um ihre Heimatstadt stand. Er hatte sein Erbe voller Hoffnungen angetreten, doch wie es schien, lag eine schwierige Zukunft vor ihm.
»Nun weißt du, was dich in Varennes erwartet«, murmelte Gaspard. »Willkommen daheim, alter Freund.«
Nach dem Bad schlenderten Michel und Gaspard durch die Unterstadt. Es war ein lauer Abend. Die Handwerker beendeten allmählich ihr Tagwerk; vor den Häusern kauerten die Alten, schwatzten mit ihren Nachbarn und schauten den Kindern beim Spielen zu. Trotz des Bades fühlte sich Michel kaum erfrischt – die bedrückenden Enthüllungen seines Freundes hatten ihm gehörig die Laune verdorben. Auch Gaspard war düsterer Stimmung, und so schwiegen sie den größten Teil des
Weitere Kostenlose Bücher