Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
dass du Gildemeister werden willst? Erst bei deiner Rückkehr nach Varennes oder schon vor langer Zeit in Mailand?«
»Das ist doch lächerlich …«
»Und wie fühlt es sich an«, fuhr Gaspard fort, »so von Ehrgeiz zerfressen zu sein, dass du für deine hochfliegenden Ziele sogar deinen besten Freund hintergehst?«
»Wieso hörst du mir nicht zu? Das Amt des Gildemeisters bedeutet mir nichts! Mir wäre es tausendmal lieber, wenn Duval oder Travère oder irgendein anderer Schwurbruder zur Wahl antreten würde. Aber das geht nun einmal nicht, versteh das doch!«
»Lügen. Alles Lügen. Ich glaube dir nichts mehr.«
»Du zweifelst mein Wort an?«, fragte Michel scharf.
»Ich weiß nicht, was in Mailand mit dir passiert ist. Aber du hast dich verändert. Der Michel, den ich kenne, hätte mich niemals belogen und getäuscht.«
Du bist der, der sich verändert hat, wollte Michel erwidern. Früher warst du nicht so verbittert und missgünstig. Du hättest mir zugehört.
Doch er verkniff es sich. Er musste seinen Zorn schlucken und versuchen, Gaspard zu beruhigen, damit sie vernünftig miteinander reden konnten. »Vielleicht war es ein Fehler, dich nicht einzuweihen, aber es war niemals meine Absicht, dich zu hintergehen – glaub mir, Gaspard. Jetzt lass uns diesen törichten Streit bitte beenden. Er ist unserer unwürdig.«
Doch Gaspard war für Vernunft und gute Worte nicht mehr zugänglich. Er starrte wieder aus dem Fenster. »Verlass mein Haus«, befahl er.
»Nein. Zuerst schaffen wir diese Sache aus der Welt.«
»Es gibt nichts mehr zu bereden. Es ist alles gesagt.«
»Wenn wir uns zerstreiten, spielen wir Géroux in die Hände. Willst du das?«
»Raus«, sagte Gaspard kalt. »Oder meine Knechte setzen dich vor die Tür.«
»Geh zu Catherine und den anderen«, forderte Michel Jean auf, als er nach Hause kam. »Sag ihnen, dass wir die ganze Sache abblasen.«
»Wieso? Was ist denn passiert?«
Michel erzählte ihm von seinem Streit mit Gaspard.
»Und deswegen willst du nicht zur Wahl antreten?«, fragte sein Bruder. »Das kann nicht dein Ernst sein.«
»Ich werde nicht meine Freundschaft zu Gaspard opfern, nur um Gildemeister zu werden. Das ist es nicht wert.«
»Du weißt doch, wie jähzornig er sein kann, wenn er in seinem Stolz verletzt ist. Er beruhigt sich auch wieder.«
»Das glaube ich nicht. Du hättest ihn sehen sollen. So wütend habe ich ihn noch nie erlebt.« Michel setzte sich auf eine der Kisten im Eingangsraum. Er überlegte, zum Viehmarkt zu gehen, um Isabelle zu suchen. Er wollte sie noch einmal sehen, bevor Gaspard ihr jeglichen Umgang mit ihm verbot. Denn das würde er zweifellos tun, sowie sie nach Hause käme. Und ich dachte, ich könnte um ihre Hand anhalten. Er fühlte sich wie ein Narr, dass er sich zu derartigen Träumereien hatte hinreißen lassen. Zuerst hätte er alles dafür tun müssen, eine Lösung für den schwelenden Zwist mit Gaspard zu finden, bevor er törichte Pläne für eine Zukunft mit Isabelle schmiedete.
»Na und? Dann ist er eben wütend«, sagte Jean. »Spätestens, wenn ihr Géroux zum Teufel gejagt habt, wird er einsehen, dass du das Richtige getan hast. Immerhin wird es auch ihm zugutekommen, wenn du Gildemeister bist.«
»Aber ohne seine Stimme kann ich die Wahl nicht gewinnen, verdammt noch mal!«
»Wie viele Stimmen fehlen dir noch?«
»Wahrscheinlich eine, wenn Catherine und Abaëlard Melville und Fabre überzeugen können.«
»Dafür wird sich eine Lösung finden. Vielleicht könnt ihr stattdessen Baffour für euch gewinnen.«
»Diesen Feigling? Nie im Leben wird er sich gegen Géroux stellen.«
»Trotzdem darfst die anderen nicht hängen lassen«, beharrte Jean. »Sie setzen all ihre Hoffnungen in dich.«
Ja, das taten sie allerdings. Während der Reise nach Troyes hatten Duval und Travère mehrmals angedeutet, wie viel sie sich von der Wahl versprachen. Bisweilen war es Michel vorgekommen, als wäre er für sie eine Art Heilsbringer. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie enttäuscht, ja niedergeschmettert sie sein würden, wenn er verkündete, nicht zur Wahl anzutreten. Wie er es auch anstellte, er würde Menschen enttäuschen und gegen sich aufbringen. Es war zum Haareraufen!
Er stand auf und schritt zur Tür.
»Wohin gehst du?«, wollte Jean wissen.
»Ich muss nachdenken. Hier drin fällt mir noch die Decke auf den Kopf.«
Es war längst nicht mehr so heiß wie im Hochsommer. Wolken hingen am Himmel, und über die Dächer strich
Weitere Kostenlose Bücher