Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)
hatte er seine Liegeposition gefunden, als das ungefederte Fahrgestell deutlich spürbare Vibrationen übertrug. Hatte Sander im ersten Moment geglaubt, die Lore hätte sich bereits in Bewegung gesetzt, so stellte er im Aufblicken fest, daß diese nach wie vor in ihrer Warteposition verharrte. Steinchen rieselten den Schacht hinab, manche schlugen auf seinen Helm auf, andere trafen Schultern und die zu Fäusten geballten Hände, spürbar zwar, doch ohne zu schmerzen. Sander gewahrte unterbewußt, daß er sich angsterfüllt an den Boden preßte, das Gesicht zwischen den Armen zu verbergen suchte. Ein Gefühl nie gekannter Beklemmung ergriff ihn. Er war unfähig zu denken, seine Sinne waren gefangen von dieser stärker werdenden Vibration, die das Fahrgestell ächzen ließ. Kein Zweifel – die Erde bebte! Ein spürte den bitteren Geschmack in seinem Mund. ‚Verdammte Scheiße! Hört das denn nie auf?‘ Er blickte hinauf zu den Pakistanern, doch er schloß unverzüglich die Augen, als Staub ihm schmerzhaft den Blick raubte.
So lag er an den Boden gepreßt, darauf hoffend, daß Gott ihm gnädig sei und dieser Apokalypse ein Ende bereite, bevor das seinige einträte. „Sir!“ Die Stimme kam von oben. Rief da Gott? Würde Gott ihn ‚Sir‘ rufen? Jetzt erst bemerkte er, daß die Erde zur Ruhe gekommen war, wieder Grabesstille herrschte, wie sie nur inmitten eines Bergmassivs, hunderte Meter von der Außenwelt entfernt, herrschen konnte. Sander hob den Kopf, öffnete die schmerzenden Augen. Es war nicht Gott, der ihn gerufen hatte, sondern einer der Pakistaner. Deutlich sah Sander im Lichtkegel seiner Helmleuchte das feixende Grinsen. Verdammt, er hatte sich blamiert! Solch ein Beben schien hier das Normalste der Welt zu sein. Er beschloß, dieses Erlebnis für sich zu behalten.
Der Pakistaner zerrte an der Klingelschnur. Sander kannte nun das Verfahren, nichts konnte ihn mehr erschüttern! Er grüßte jovial zum Abschied, als knirschend das Gestell Fahrt aufnahm. Sander tauchte in den Schacht, nach wenigen Augenblicken verlor er das Licht des Pakistaners aus den Augen. Egal, hoch oben, am Ende des Schachtes, leuchtete das Tageslicht wie der Morgenstern! Dort saß der Windenführer und würde, seiner Verantwortung bewußt, auf die Markierungen der Seiltrommel achten, um das Gefährt rechtzeitig vor dem Aufprall zum Halten zu bringen. Er hatte grenzenloses Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Windenführers, die archaische Technik, die seismische Routine des Gebirges. Was blieb ihm auch anderes übrig? Er fand zunehmend Gefallen an seinem Abenteuer. Zurück in Deutschland hätte er eine Menge zu erzählen.
Der Ruck des plötzlich anhaltenden Gefährts riß ihn aus den Gedanken. Wie viele Meter mochte er in die Tiefe gefahren sein? Er konnte die Frage nicht beantworten. Das Seil federte nach, und in seinem Rhythmus hob und senkte sich kaum merklich der Wagen. Sander ging in die Hocke, ließ den Kopf kreisen, folgte mit dem Blick dem Lichtkegel der Helmleuchte. Keine zwei Meter unterhalb seines Standortes hatte man senkrecht zwischen den Schienen einen mächtigen Stamm im Felsgestein verankert. Hier spätestens wäre seine Reise beendet gewesen, kein sonderlich erbaulicher Gedanke. Nur wenige Meter dahinter verschwand das unter einer Staublage kaum noch erkennbare Gleis in einem sich häufenden Gemenge aus Staub und Geröll. Direkt darüber signalisierten, das diffuse Licht matt reflektierend, Mauerwerksfugen das Ende des Stollens. Eine Mauer! Lag dahinter der uralte Wetterschacht, der in der Tuschezeichnung seine Aufmerksamkeit erregt hatte?
Sander erkannte zu seiner Linken einen Querstollen, der sich rasch im Dunkel des Berges verlor. Auf der gegenüberliegenden Seite beleuchteten wenige an der Wand hängende Grubenlampen den Stollen mehr schlecht als recht. Jetzt erst vernahm er das Geräusch schwerer Hammerschläge. Er richtete sich auf, soweit die niedrige Stollendecke dies erlaubte, stieg vom Wagen und näherte sich gebückt der Lärmquelle. Er passierte einige steil nach links aufsteigende, inzwischen aufgelassene Strebe, stieg über etliche mit Kohlebrocken bedeckte Jutesäcke, als ein von links aus dem Berg rollender, gut zwanzig Kilogramm schwerer Gesteinsbrocken ihm verdeutlichte, am Ziel zu sein. Ein Schritt noch, dann bot sich ihm eine unvergeßliche Szenerie: Etwa fünf Meter über ihm standen – mit bloßem, schweißglänzendem Oberkörper, die Stiefel in das Geröll gestemmt, – zwei Bergleute in
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