Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)
gegen die im Freimaß eingezogenen Querhölzer des Stollenausbaus zu stoßen. Der harte Schlag des Zusammenpralls, eher gehört als gefühlt, ließ einen jedes Mal zusammenzucken. Der Rücken wurde dann noch mehr gekrümmt, der Kopf noch mehr eingezogen, um nur wenige Meter entfernt erneut mit dumpfem Knall anzuschlagen.
Der Stollenausbau ließ keinen Zweifel, daß man die bergbautechnische Gegenwart verlassen hatte: Ärmliches Tropenholz, vielleicht dreißig, allenfalls vierzig Millimeter im Durchmesser, hatte – in wirrem Geflecht an die Stollenwände geschmiegt – die stützende Funktion der Stahlstempel übernommen. Zwischen den Schwellen des Feldbahngleises gähnte unerwartet das eine oder andere Loch, dessen Tiefe man lieber nicht ergründete. Rang einem der Boden die volle Aufmerksamkeit ab, schlug man unweigerlich mit dem Helm an die Decke, zumal die Stollenhöhe in kaum abschätzbaren Grenzen variierte. Von Zeit zu Zeit trafen sie auf kleine Lorengruppen, aus zwei, drei, zuweilen vier Wagen bestehend, ein jeder randvoll mit Kohle beladen. Man konnte sich an ihnen nur im Seitwärtsschritt vorbeipressen, stets darauf bedacht, sich nicht mit dem Kabel der Helmbeleuchtung im Gehölz des Stollenausbaus zu verheddern. Zeitweilig fiel Sanders Lampe aus, die Reparatur war offensichtlich nicht von Nachhaltigkeit. Ein, zwei Schläge gegen den Akku, und sie leuchtete wieder eine Weile. In der Zwischenzeit galt es, nicht den Anschluß zu verlieren, da er nur im Licht der Vorauseilenden den Weg erkennen konnte. Das Licht seines Hintermannes nutzte ihm wenig – dort, wo er im nächsten Augenblick hintrat, herrschte stets die unergründliche Finsternis des eigenen Schattens.
Sander atmete schwer. Weißenfels hatte, seinem Vordermann dann und wann mit der Linken aufmunternd auf die Schulter klopfend, für ein höllisches Tempo gesorgt. Zumindest aus Sicht Sanders war es ein höllisches Tempo, war er doch mit Abstand der Älteste. So war er jedes Mal dankbar, wenn wieder ein paar Loren den Vorwärtsdrang für einen kurzen Moment unterbrachen, er gebückt für wenige Augenblicke die schmerzenden Beine strecken konnte. So ging es, dann und wann einer Biegung folgend, mit zunehmender Häufigkeit anstoßend oder stolpernd und erst leise, dann immer lauter vor sich hin fluchend, tiefer und tiefer in den Berg. Einzig Steigungen blieben ihnen erspart – wie hätten die Bergleute auch sonst die randvoll beladenen Loren bewegen können? Immer weiter führte sie der Stollen in den Berg.
Sander hatte längst jegliches Gefühl für Entfernungen verloren. Seine Gedanken drehten sich nur noch um das unbeschadete Ankommen, an unbeschadetes Herauskommen, vorhin noch Grundgedanke aufkommender Unruhe, war angesichts dieser Tortur zunächst nicht mehr zu denken. Erneut folgte der Stollen einer Biegung, als der zuvorderst laufende Pakistaner den Schritt verlangsamte und schließlich anhielt. Er rief seinem Kumpel etwas zu, worauf dieser an ihnen vorbei nach vorne drängte. Erst jetzt erkannte Sander, daß wenige Meter vor ihnen kein Boden mehr sichtbar war. Das Feldbahngleis endete – inmitten einer Kaverne nicht erkennbarer Höhe – an einer hölzernen Drehscheibe, dahinter verkündete, in zwei, drei Metern Entfernung aus unergründlicher Schwärze emporsteigend, eine matt schimmernde Felsbarriere das Ende des Stollens.
War hier ihre Reise in die Unterwelt zu Ende? Bei diesem Gedanken fühlte sich Sander fast erleichtert, wäre da nicht der Rückweg gewesen. Er lehnte sich in Hockstellung an die Stollenwand, vorsichtig darauf bedacht, keine Staubkaskade auszulösen. Erst jetzt fiel ihm der Methangeruch auf. Methan! Auch das noch! Sein Blick suchte Weißenfels, doch der schien damit kein Problem zu haben. Sander atmete schwer, Schweiß tropfte von seiner Stirn, auf den staubgeschwärzten Handrücken helle Rinnsale zeichnend. Die Oberschenkel brannten, Rücken- und Nackenmuskulatur schmerzten, der Mund war trocken. Plötzlich verspürte er drängenden Durst, als hätte er in glühender Sonne alle Wüsten dieser Welt durchquert. Eine Oase würde er in diesem verdammten Labyrinth wohl niemals finden! Ihm war in diesem Moment alles egal. Er hörte nicht das Rufen.
„Dr. Sander! He! Aufwachen!“ Es war Weißenfels, der seinen Arm ergriff. „Das müssen Sie gesehen haben!“ Er zerrte ihn förmlich an den schwarz drohenden Abgrund. Als die Lichtkegel ihrer Lampen in die Tiefe drangen, erkannte Sander zu seiner Überraschung, daß von
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