Das Schapdetten-Virus - Kriminalroman
werden sie in Gefängnissen, die man Zoos nennt, ausgestellt, so wie man Ende des fünfzehnten Jahrhunderts die Indianer ausgestellt hat. Im Übrigen fängt die Diskriminierung schon damit an, dass die Menschen alle anderen Lebewesen als Tiere bezeichnen. Der Schimpanse, der die Taubstummensprache erlernt, ist ein Tier, und die Mücke, die sich auf Ihren Arm setzt, ist auch ein Tier. Sie werden zugeben müssen, dass der Unterschied zwischen einem Menschen und einem Schimpansen erheblich kleiner ist als der zwischen einem Schimpansen und einer Mücke.«
Der schmächtige, pickelige Kerl hatte einen Punktsieg davongetragen, und er wusste es. Wortlos genoss er seinen Triumph und die Anerkennung der anderen, die mich mitleidig angrinsten. Immerhin, sagte ich mir, war er ein in vielen Diskussionen erprobter Profi und ich auf diesem Gebiet ein blutiger Laie. Obwohl blutig vielleicht nicht das richtige Wort war. Seit dem BSE-Skandal aß ich die Steaks lieber kross gebraten.
»Um noch einmal auf die Kapuziner zurückzukommen«, sagte ich. »Sind sie nun krank oder nicht?«
»Einige von ihnen haben eine Erkältung«, schaltete sich Franka ein. »Das ist nichts Besonderes. Das kommt bei Arilson häufiger vor. Die behandeln die Kapus auf dem langen Transportweg unmöglich, so, als ob sie es nicht mit Lebewesen, sondern mit einer Kiste Bananen zu tun hätten. Aber ich kenne mich mit der Pflege von Affen aus. Denen geht es hier nicht schlechter als in Schapdetten.«
»Der Tierarzt von Arilson behauptet etwas anderes.«
»Und selbst wenn. Ich glaube, dass mein Vater dahintersteckt. Er will uns mit der angeblichen Epidemie unter Druck setzen.«
Ich sah ein, dass ich an dieser Stelle nicht weiterkam. »Und was habt ihr mit mir vor?«
»Sie bleiben hier«, entschied das schwarze T-Shirt.
»Wenn ich euch richtig verstanden habe, sind Menschen auch nur Tiere.«
»Er hat’s kapiert«, lachte der Motorradheini.
»Und ihr seid für die Freiheit aller Tiere. Warum gelten die elementaren Tierrechte dann nicht für mich?«
Sie schwiegen verdutzt. Endlich hatte ich sie auch einmal bei einem Widerspruch erwischt.
»Das ist eine Notsituation«, verteidigte sich der Chefideologe. »Wir quälen keine Menschen aus Freude. Im Interesse der Sache müssen Sie ein paar Unannehmlichkeiten auf sich nehmen.«
»Eine tolle Begründung«, schimpfte ich. »Übrigens wird die Notsituation für mich bald größer. Ich habe nämlich Neurodermitis.«
»Das glaube ich nicht«, rief Franka. »In meiner Klasse war ein Mädchen, das Neurodermitis hatte. Deren Haut sah viel schlimmer aus als Ihre.«
Ich beugte mich vor. »Siehst du die doppelte Lidfalte unter meinen Augen? Das sichere Erkennungsmerkmal der Neurodermitiker. Und wenn ich nicht bald eine Fettcreme bekomme und mir die Fesseln abgenommen werden, damit ich mich kratzen kann, leide ich mehr als ein Delfin im Aquarium oder ein dressierter Drehorgelaffe.«
X
»Hier, Ihre Fettcreme!«
Sie legte die Tube neben mich auf die Matratze und wollte wieder verschwinden.
»Moment! Wie hast du dir das vorgestellt? Soll ich die Tube mit den Zähnen aufmachen und das Zeug mit dem dicken Zeh verreiben?«
»Ach so. Entschuldigen Sie!« Sie lächelte ein wenig unsicher. »Dann muss ich erst Verstärkung holen.«
Sie ging weg und kam mit dem Pummel und dem Typ mit den vielen Ringen in den Augenbrauen, der noch nicht einmal den Mund aufgemacht hatte, zurück. Die beiden Knaben postierten sich am Eingang des Gewölbes, während mir Franka die Fesseln abnahm.
Ich rieb meine Handgelenke. In der Zeit, die ich allein in der Höhle verbracht hatte, war mir bewusst geworden, dass ich seit dem Morgen nichts mehr gegessen hatte. Mein Magen verlangte nach Kalorien und Proteinen.
»Könnte ich auch etwas zu essen bekommen? Ich habe einen tierischen Hunger.«
»Einen tierischen?«
Wir mussten beide lachen. Danach wurde Franka lockerer.
»Na klar. Ich kann Ihnen ein Menü zusammenstellen. Möchten Sie Körner oder lieber Möhren, Fenchel und Sellerie, alles aus biologischem Anbau. Als Nachtisch empfehle ich Obst. Wir haben Äpfel, Birnen und Bananen.«
Ich seufzte. »Ein paar Scheiben Brot mit Käse sitzen wohl nicht drin?«
»Nein. Brot essen wir nur in Ausnahmefällen, zum Beispiel auf Reisen, wenn wir nichts Ungespritztes bekommen können. Die meisten Bäcker verwenden beim Backen tierische Produkte. Und Kuhmilch …«
»… gehört den Kälbern«, ergänzte ich.
»Richtig. Sie lernen schnell
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